Griff in die Geschichte (56)
130 Jahre Gründung der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine (GEG)
von Margrit Paul
Die Entstehung der Konsumgenossenschaften ist untrennbar mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert in Europa verbunden – erste Anfänge der Konsumgenossenschaftlichen Bewegung datieren bereits auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien.
Die Not auf dem Land tauschten die Arbeitskräfte gegen desolate, recht- und schutzlose Wohn- und Arbeitsverhältnisse in den Städten ein. Quantität und Qualität der Lebensmittel, die sie bei den Krämern einkauften, waren nicht selten manipuliert. So wurde Mehl mit Gips vermengt, Kaffee mit Sand gestreckt, alter Fisch mit Rinderblut „aufgefrischt“, Schokolade mit Hammel- oder Kalbsfett hergestellt und zur Gelbfärbung der Nudeln trug Urin bei...
Um der erdrückenden Abhängigkeit von den Krämern zu entgehen, bei denen oft mangels Geldes auch noch „angeschrieben“ werden musste, taten sich Arbeiter und Handwerker zusammen, gründeten Vereine, Assoziationen, Genossenschaften. Als Keimzelle gilt die am 21. Dezember 1844 gegründete Rochdale Society of Equitable Pioneers (Rochdaler Genossenschaft der Redlichen Pioniere).
Auch in Deutschland, mit Schwerpunkt in Sachsen, wurden ab den 1850er Jahren Konsumgenossenschaften gegründet, die sich an den Grundprinzipien des von Rochdaler (Manchester) Webern gegründeten Vorläufer orientierten:
Gleiche Beitrittsbedingungen und gleiches Stimmrecht für alle Mitglieder, Rückvergütung (Überschussbeteiligung), Verkauf unverfälschter Ware mit vollem Gewicht und nur gegen Barzahlung, politische und religiöse Neutralität …
Vorläufer der späteren in Hamburg gegründeten Konsumgenossenschaften ist die Gesellschaft zur „Vertheilung von Lebensbedürfnissen“ von 1852, gefördert und unterstützt von prominenten Vertretern aus dem Bürgertum, u.a. J.H. Wichern, A. Sieveking. Ziel war die Lieferung selbst angebauter Kartoffeln und anderer Lebensmittel zu „möglichst billigen Preisen“.
Von Beginn an wurden die Konsumgenossenschaften einerseits misstrauisch von dem Obrigkeitsstaat beobachtet, andererseits trug ihr Erfolg zu sich verschärfenden Konflikten mit den kleinen Einzelhändlern bei, die zunehmend Druck auf die Großhändler ausübten, die auch die Konsumgenossenschaften belieferten. Die Boykottkampagnen führten am 16. März 1894 zur Gründung einer eigenen Großhandelsorganisation, der Großeinkaufsgesellschaft (GEG) Deutscher Consumvereine mbH mit Sitz in Hamburg.
Die GEG entwickelte sich sehr erfolgreich und beschränkte sich ab 1910 nicht mehr nur auf ihre Großhandelsfunktion. Bis 1933 verfügte sie über 50 Produktionsbetriebe, die überwiegend der Lebensmittelproduktion dienten, aber es wurden auch Bekleidung, Möbel und vieles mehr hergestellt.
Den Nazis waren die Konsumgenossenschaften von Anfang an ein Dorn im Auge. Dem 1903 in Dresden gegründeten Zentralverband deutscher Konsumvereine (ZDK), wegen ihrer Nähe zu den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie auch „Hamburger Richtung“ genannt, ereilte ebenso wie die christlich (Kolping) geprägten Konsumvereine „Kölner Richtung“ mit ihrer 1912 gegründeten Großeinkaufszentrale deutscher Konsumvereine GmbH (GEZ, später GEPAG) das gleiche Schicksal. Während der ZDK sofort verboten wurde, gingen GEZ und GEPAG im „Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften GmbH“ mit Sitz in Hamburg auf.
1935 verschärften die Nazis ihre Repressalien und erzwangen mit dem „Gesetz über Verbrauchergenossenschaften“ die Auflösung „lebensunfähiger“ Konsumgenossenschaften. Mit der „Verordnung zur Anpassung der verbrauchergenossenschaftlichen Einrichtungen an die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse“ vom 18. Februar 1941 wurde die Zerstörung der Konsumgenossenschaften besiegelt und Vermögen und wirtschaftliche Einrichtungen in das „Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront“ überführt …
Nach Kriegsende fanden sich überall Bestrebungen, den Konsumgenossenschaften wieder Leben einzuhauchen und das verlorene Vermögen des ehemaligen „Gemeinschaftswerks“– soweit noch vorhanden – zurückzubekommen.
Bereits im Dezember 1945 wurden in der sowjetischen Zone die rechtlichen Grundlagen für die Neugründung von Konsumgenossenschaften geschaffen, die schon 1947 über 1,8 Millionen Mitglieder zählten, deren Zahl bis in die 1960er Jahre auf 3,8 Millionen Anfang anwuchs und Anfang der 1970er Jahre 4,2 Millionen erreichte. Der Konsum wickelte dabei über 30% des Einzelhandels ab und konzentrierte sich dabei vornehmlich auf den ländlichen Bereich.
Während Amerikaner und Franzosen in ihren Zonen an die Strukturen des „DAF- Gemeinschaftswerk“ und die dazugehörigen „Versorgungsringe“ anknüpften, wurde der „Versorgungsring“ Hamburg mit Zustimmung der britischen Militärregierung in Konsumgenossenschaft „Produktion“ umbenannt, anknüpfend an die 1899 als Konsum-, Bau- und Sparverein gegründete Produktion eGmbH. Zahlreiche kleine Konsumgenossenschaften entstanden neu, da die Briten den (Wieder-)Aufbau von unten förderten.
Im Januar 1946 wurde die DEUGRO (Deutsche Großeinkaufsgesellschaft m.b.H. der Arbeitsfront) in „Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften mbH“ (GEG) umbenannt.
Die zügige Aufbauarbeit führte dazu, dass 1948 in den Westzonen 250 Konsumgenossenschaften mit 750000 Mitgliedern und 5700 Verteilungsstellen existierten und bereits 1949 wurde in Hamburg (Berliner Tor) der erste Selbstbedienungsladen in Deutschland eröffnet, 1952 in Berlin-Treptow folgte der erste Selbstbedienungsladen der Konsum Groß-Berlin eGmbH.
Nachdem in den 1950er Jahren in der alten Bundesrepublik ein Höchststand mit 2,6 Millionen Mitgliedern, 79000 Beschäftigten in über 10000 Läden erreicht wurde, sollte sich dieser Trend mit dem Vordringen der Discounter und der großen Einzelhandelsfilialisten bald umkehren…
1968 wurde die plaza SB-Warenhaus GmbH als Tochter der GEG gegründet, ein großflächiges SB-Warenhauskonzept als Antwort auf den sich verschärfenden Konkurrenzkampf im Einzelhandel. 1969 folgte die Einführung des co op-Zeichens als Symbol für alle Betriebseinrichtungen und Aktivitäten der konsumgenossenschaftlichen Unternehmensgruppe. Auf dem Bundeskongress der bundesdeutschen Konsumgenossenschaften (BdK) im Juni 1970 wurde die Umwandlung der Genossenschaften in Aktiengesellschaften beschlossen, um die Kapitalbeschaffung zu erleichtern. Die dringende und kapitalaufwändige Modernisierung war zu einer Überlebensfrage geworden. Auf dem außerordentlichen Kongress des BdK im Dezember 1972 erfolgte die Umwandlung der GEG zur co op Zentrale AG, die die Führungsfunktionen des BdK und die Wirtschaftsfunktionen der GEG vereinigte.
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Bösche, Burchard u. Korf, Jan-Frederik, Chronik der deutschen Konsumgenossenschaften, Hamburg 2003.
A.VI.3a / 3
Bösche, Burchard, Kurze Geschichte der Konsumgenossenschaften, hrsg. Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V.
A.VI.3a / 4
Hasselmann, Erwin, Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt a.M., 1971.
A.VI.3a / 4a
Korf, Jan F., Von der Konsumgenossenschaftsbewegung zum Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront, Hamburg 2008.
A.VI.3a / 040
Bösche, Burchard, Adolf von Alm. „Der ungekrönte König von Hamburg“, Hamburg 2015.
A.VI.3a / 042
Elm, Adolf von, Wertvolle soziale Arbeit!, Hamburg 2010 (Nachdruck von 1910).
A.VI.3a / 043
(zum Genossenschaftsmuseum)
Bösche, Burchard, Das Hamburger Genossenschaftsmuseum, in: Tiedenkieker Nr. 7, 2016, S. 37-42.
A.I.2 / 050
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