Besonderheiten

Wir stellen in dieser Rubrik von Zeit zu Zeit Besonderheiten aus unserer Vereinsbibliothek vor.

 

Amtsblatt der freien [sic] und Hansestadt Hamburg. Jahrgang 1904.

Druck und Verlag von Lütcke & Wulff, E.H. Senats Buchdruckern

präsentiert von J.R.

 

In diesem mehr als tausendseitigen Band (Signatur A.IV.1.b.6) finden sich fast zweihundert Anordnungen, Richtlinien, Verordnungen und Vorschriften, welche die Ordnung in der Stadt gewährleisten sollten. Die Anordnungen sind datiert von Freitag, 1.1.1904 (Nr.1), bis Sonnabend, 31.12.1904 (Nr. 195).

Eine kleine Auswahl gibt einen Überblick über die Themen, welche in einem der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts in Hamburg wichtig waren. Manche davon erscheinen allerdings auch noch im 21. nicht ganz unbekannt.

vhg bib besonderheiten Amtsblatt1904 1

 

Nr. 22, 29.1.1904

Die Reichstelegraphenlinien sind häufig vorsätzlichen oder fahrlässigen Beschädigungen, namentlich durch Zertrümmerung der Isolatoren mittels Steinwürfe ausgesetzt. Da durch diesen Unfug die Benutzung der Telegraphenanstalten verhindert oder gestört wird, so wird hierdurch auf die durch das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich festgesetzten Strafen wegen dergleichen Beschädigungen aufmerksam gemacht.

 vhg bib besonderheiten Amtsblatt1904 2

Nr. 24, 3.2.1904

Änderung der Ordnung der Reifeprüfung an den Gymnasien des Hamburgischen Staates vom 29. November 1892

Diese Ergänzungsprüfung ist eine schriftliche und eine mündliche. Sie erstreckt sich auf die lateinische und die griechische Sprache, erforderlichen Falles auch auf die hebräische Sprache.

 

Nr. 25, 4.2.1904
Die Sonntagsruhe in der Stadt BergedorfEs wird hiermit zur öffentlichen Kenntnis gebracht, daß von der

unterzeichneten Landherrenschaft […] die fünf Stunden, während welcher Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter beschäftigt werden dürfen, für die Winterhalbjahre abgeändert sind.

 

Nr. 99, 1.7.1904
Telegraphenordnung für das Deutsche Reich

§ 2, Abs. IV
Als ´Telegramme in verabredeter Sprache` werden diejenigen Telegramme angesehen, deren Text aus Wörtern besteht, die weder in einer noch in mehreren der für den telegraphischen Verkehr in offener Sprache zugelassenen Sprachen verständliche Sätze bilden.
Diese Wörter […] dürfen höchstens 10 Buchstaben nach dem Morsealphabet enthalten.

§ 2, Abs. V
Ziffern und Buchstaben mit geheimer Bedeutung dürfen nebeneinander im Texte desselben Telegramms nicht vorkommen.

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Nr. 179, 30.11.1904

§ 1 In den Stadtteilen St. Pauli und Eimsbüttel ist bis auf weiteres das Treiben und Führen von Rindvieh und Schafen nach den Schlachthof- und Viehmarktanlagen und nach den Stallungen bzw. Weiden der Kommissionäre […] allgemein gestattet.

 

Nr. 183, 9.12.1904

Auf Grund §12 der Hinterlegungsordnung vom 14. Juli 1899 hat der Senat die Höhe des Zinssatzes für hinterlegtes Geld für das Jahr 1905 auf zwei und einhalb vom Hundert für das Jahr festgesetzt.

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Nr. 189, 21.12.1904

Laut Rundschreiben des Herrn Reichskanzlers vom 3. Dezember 1904 ist die Einführung einer einheitlichen Arzneitaxe für das Deutsche Reich in kurzer Zeit, jedoch nicht schon zum 1. Januar 1905 zu erwarten. […] Für solche Arzneimittel, deren Einkaufspreise inzwischen bedeutende Änderungen erfahren haben, wird das Medizinalkollegium neue Preise nach den Grundsätzen zur Berechnung der Arzneitaxe festsetzen.

 

Einige Karten ergänzen oder illustrieren die Ausführungen der Behörden. Ein alphabetisches Register schließt die Veröffentlichung amtlicher Bekanntmachungen des Jahres ab.
Die Druckerei Lütcke & Wulff in Hamburg ist auch heute noch die Druckerei des Amtsblattes der Stadt.

 

 

Weitere Besonderheiten...

 

...vorgestellt im Herbst 2023

 

Historia Ecclesiae Hamburgensis Diplomatica – Die hamburgische Kirchengeschichte von Nicolaus Staphorst von 1723 bis 1729

präsentiert von J.R.

 

Unter Signatur A.XII.1a.172 steht in der Vereinsbibliothek ein mehrbändiges Werk, das zum großen Teil in Latein verfasst ist, denn es ist eine Übersicht über die kirchenpolitischen Entwicklungen bis Mitte des 18. Jahrhunderts und ist verfasst von einem Geistlichen der Stadt in den 1720er Jahren.

Nach einem Studium der Theologie in Rostock und Wittenberg, trat Nicolaus Staphorst (August 1679 – Juli 1731) 1705 das Amt des Pastors an der St. Johannis-Kirche in Hamburg an. Ab 1720 übernahm er zusätzlich die Aufgaben des Predigers an einer Besserungsanstalt für Frauen.

Neben der ausführlichen Kirchengeschichte publizierte Staphorst einige weitere religions- und geschichtsrelevante Schriften. Doch diese ist seine umfangreichste Veröffentlichung.

 

vhg bib besonderheiten Staphorst 1

 

Historia Ecclesiae Hamburgensis Diplomatica, das ist Hamburgische Kirchen=Geschichte, aus Glaubwürdigen und mehrentheils noch ungedruckten Urkunden, so wol Kaiserlichen, Königlichen, Fürstlichen, Gräflichen, sc. als auch Päbstlichen, Erz-Bischöflichen, Bischöflichen und andrer beider Geistlicher als Weltlicher Personen respective Gnaden- Freiheits- und Bestätigungs-Briefen, Concessionen, Indulten, Stifftungen, Vermächtnüssen, Verordnungen, Statuten, Verträgen, Contracten, Vergleichungen und andern dergleichen vielfältigen Schrifften, Gesammlet, beschrieben und in Ordnung gebracht“. Hamburg, bei Theodor Christoph Felginern, 1723.

Das Werk ist gewidmet zwei Bürgermeistern und zwei vornehmen Bürgern und Vorstehern des Klosters St. Johannis als Vertreter der weltlichen Obrigkeit. Ihnen gegenüber möchte er `durch diese Zuschrift ein geringes Zeichen meiner unterthänigsten und Dank=begierigsten Erkänntlichkeit öffentlich ablegen.‘

Die beiden Bürgermeister und Juristen (J.U.L. Licentiaten beider Rechte) sind Garlieb Sillem, Bürgermeister ab 1717 bis 1732, außerdem der Schwager von Staphorst, und Hinrich/Henrich Diederich/Dieterich Wiese, Bürgermeister von 1720 bis 1728.

Die Klostervorsteher sind die Ratsherren Jacob Greve, im Amt 1717 bis 1727, und Johann Pell, im Amt 1722 bis 1736.

Die Widmung an seine vier Gönner endet mit diesen Worten: `Ew. Vorachtbare Gunsten begleite unverrückt der Segen des Allerhöchsten/er erhalte Sie bei beständigem Wohlergehen/verlängere Ihre Jahre/und lasse Ihnen so wol/als Ihren beiderseits Vornehmen Häusern niemals an irgend einem Gute ermangeln.‘ Hamburg, d. 14. Sept. 1723.

vhg bib besonderheiten Staphorst 2Staphorsts Kirchengeschichte spannt den Zeitraum 811 bis 1521. Im ersten Teil wird die Entwicklung von Anbeginn bis ins 15. Jahrhundert dargestellt. Der zweite Teil behandelt die Ausbreitung der Reformation in Hamburg von 1521 bis 1531.

Bis 1731 erschienen fünf Bände, vier sind in der Bibliothek. Nach dem Ableben des Verlegers Felginer in 1726 wurde die Historia ab 1727 durch Felginers Witwe veröffentlicht.

Da durch Feuer und Kirche viele Dokumente und Urkunden der Stadt vernichtet wurden, ist Staphorsts Sammlung wertvoll als Quellenmaterial für die Forschung. Wie frühere Herausgeber von Chroniken weltlicher oder kirchlicher Art sich um Originalquellen bemüht hatten, benutzt auch Staphorst Informationen, wo immer er sie finden kann: `Unter denen ungedruckten Schrifften habe ich beim Adamo Tratziger in seiner Hamburgischen Chronick nachgeforschet.‘ (Vorrede) Hier bezieht er sich auf die von Dr. Adam Tratziger im Jahre 1557 veröffentliche Geschichte der Stadt Hamburg (siehe Essay hierzu weiter unten unter `Weitere Besonderheiten...‘).

Am Ende des Bandes findet sich eine 5-seitige Aufstellung der Urkunden, welche beigelegt wurden, ebenso ein vielseitiges detailliertes Register. Auf über 30 Seiten werden Anmerkungen, Erläuterungen und Zusätze aufgeführt, ebenfalls sind Druckfehler aufgelistet und eine Information an den Buchbinder ist angefügt.

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In der Bibliothek als Ergänzung sind folgende Signaturen zu finden:

A.XII.1.a.29

Georg Daur, Von Predigern und Bürgern. Eine hamburgische Kirchengeschichte von der Reformation bis zu Gegenwart. Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg 1970

A.XII.1.a.77

Wilhelm Jansen, Die hamburgischen Kirchen und ihre Geistlichen seit der Reformation. Verlag J.J. Augustin, Hamburg 1958

A.XII.3.101

Matthias Gretzschel, Kirchen in Hamburg. Geschichte – Architektur – Angebote. Hamburger Abendblatt, Hamburg 2000

A.XII.3.103

Kloster St. Johannis. 1236 - 1536 – 1986. 450 Jahre Kloster St. Johannis. Einblick in die Geschichte. Hamburg 1986

A.XII.3.220

Veronika Janssen, St. Johannis zu Eppendorf. Eine Hamburger Dorfkirche vom Mittelalter bis heute. Solivagus Praeteritum, Hamburg 2018

 

 

...vorgestellt im Frühling 2023

 

``Von einem wissenschaftlich und praktisch gebildeten Rechtsgelehrten geschrieben´´ - Adam Tratzigers Chronik der Stadt Hamburg von 1557

präsentiert von J.R.

 

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Der Senatssyndikus und Justiziar des Hamburgischen Rats Dr. Adam Tratziger (1523 – 1584) kam ursprünglich aus Nürnberg. 1540 begann er ein Jurastudium in Leipzig, das er in Frankfurt an der Oder fortsetzte und wo er 1546 zum Dr. iur. utr. promovierte, die höchste Qualifikation in römischer und kanonischer Rechtswissenschaft. Hier war er auch Privatdozent für römisches Recht, ehe er im selben Jahr zum Professor an die Universität Rostock berufen wurde. Neben seinen Vorlesungen hatte er für zwei Semester von 1547 bis 1548 die Aufgaben eines Rektors übernommen. 1551 war er dort auch als Stadtsyndikus tätig. In seiner Zeit in Rostock scheint er durch den Neid Anderer in verschiedene Anschuldigungen verwickelt gewesen zu sein.

Wie genau es zu Tratzigers Anstellung als zweiter Syndikus in Hamburg in 1553 kam, ist nicht so ganz klar erkennbar. Es gibt Andeutungen, dass es mit Zwistigkeiten seiner angeheirateten Verwandten in Hamburg zu tun hat, in denen es auch um das Gut Wandsbek ging. Es scheint, dass der Rat von Rostock Tratziger als Streitschlichter empfahl. Im August 1553 trat er die Nachfolge des Syndikus Dr. Franz Pfeil an, der an Ostern des Jahres nach Magdeburg gewechselt hatte.

Nach nur fünf Jahren in Hamburg wurde Dr. Adam Tratziger zum Kanzler in Schleswig-Holstein bestellt; auch in dieser neuen Funktion hatte er in rechtlichen Dingen immer wieder mit Hamburg zu tun. ``Indessen bleibt der Mann, welchen wir, wenn auch nur für wenige Jahre, vorzugsweise als einen Hamburger betrachten dürfen […] eine nicht unbedeutende Persönlichkeit´´ lautete das spätere Urteil von Martin Lappenberg, im 19. Jahrhundert Herausgeber von Tratzigers Chronik. (XXXVI)

     a) Senatssyndikus, Justiziar und Gesandter der Stadt Hamburg (1553 bis 1558)

Besonders in weltlichen Streitigkeiten war Tratziger als Rechtsgelehrter gefragt und daher in zahlreichen stadtpolitischen und staatspolitischen Missionen unterwegs. Er verhandelte mit kaiserlichen Hofgerichten und Reichsbehörden über Handels- und Zollfragen, Landesrechte und Grenzdispute, Thronstreitigkeiten und Erbteilungen, Besitzverhältnisse und Nachlässe, und die Sicherung von Land- und Seewegen.

In Zeiten ständiger machtpolitischer Unruhen des 16. Jahrhunderts war Tratziger sehr oft für die Hansestadt zu Verhandlungen in den nahegelegenen Städten im Norden Deutschlands wie Segeberg, Lübeck oder Lüneburg unterwegs. 1554 verhandelte er die Hoheitsansprüche Dänemarks auf Hamburg mit den fürstlichen Gesandten des Königs. Im selben Jahr war er tätig, als Bergedorf, das im Besitz Hamburgs und Lübecks und Umschlagplatz für Holz aus dem Sachsenwald war, vom Herzog von Braunschweig überfallen wurde. 1555 musste er sich um Grenzstreitigkeiten am Zollenspieker kümmern. In 1556 war er in Frankfurt am Mai bei einer Versammlung aller Elbufer-Staaten, um die Schifffahrt auf dem Fluss und die damit einhergehenden Zölle zu regeln.

Tratziger übernahm Gesandtschaften zum Hof in Brüssel von Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. 1556 verhandelte er mit den wichtigsten Rechtskundigen und den kaiserlichen Räten, ``welche der Rath durch kleine Aufmerksamkeiten, wie Zusendung einiger Tonnen des beliebten Hamburger Biers zu erfreuen suchte´´. (XXXII)

Als Gelehrter beider Rechte war Tratziger auch für geistliche Fragen zuständig. Seine weitreichende juristische Expertise war in Hamburg besonders wichtig bei immer wieder anstehenden kirchlichen Diskrepanzen. Denn oft zeigte es sich, ``daß zu Verhandlungen mit der Geistlichkeit man zuweilen eines Mannes bedurfte, welcher im römischen und besonders dem canonischen Rechte größere Kenntnisse besäße, als diese bei den eben vorhandenen Beamten sich vorfanden.´´ (XI)

Im Frühjahr 1558 legte Tratziger seine Ämter in Hamburg nieder. Familiäre Differenzen lassen sich auch hier als einer der Gründe vermuten. Es ging erneut um den Besitz des Gutes Wandsbek, das seit Juni 1556 auf ihn übergegangen war und das er 1564 verkaufte. Der primäre Anlass jedoch war sicherlich das Angebot des schleswig-holsteinischen Regenten.

     b) Kanzler des Gottorfer Herzogs (1558 bis 1584)

Um seinen Staat zu modernisieren, holte sich Adolf I. von Schleswig-Holstein-Gottorf, ein Sohn von Friedrich I., König von Dänemark, gut ausgebildete Fachleute. Er ernannte den erfahrenen Rechtsgelehrten Dr. Adam Tratziger zu seinem Kanzler, der ihm mit seinem Wissen in staatlichen und kirchlichen Rechtsfragen von großem Nutzen war.

Als höchster Beamter in der Verwaltung war seine wichtigste Tätigkeit den großen Regierungsangelegenheiten gewidmet, die der Machterweiterung des Regenten und der Festigung der landesherrschaftlichen Gewalt des Herzogs dienten. Daher war er in allen machtpolitischen Vorgängen maßgeblich involviert, von Gebietsaneignungen bis zu dessen ehrgeizigen Heiratsplänen.

Der neue Kanzler gab Ratschläge zur Eroberung der reichen Bauernrepublik Dithmarschen in 1559, die schon lange neben kirchlicher Verknüpfung in einem Schutzbündnis mit Lübeck und Hamburg verbunden war. 1559 und 1560 war er zu heiratspolitischen Verhandlungen für Herzog Adolf in London, wo er um die Hand der englischen Königin Elisabeth I. werben sollte. Doch auch der persönliche Auftritt des Fürsten beeindruckte die viel umworbene Herrscherin nicht.

Um 1560 befasste sich Tratziger mit der Säkularisierung des Bistums Schleswig. 1570 war er beim Reichstag in Speyer, einer unregelmäßig stattfindenden Versammlung der Reichsstände, wo es um Friedenssicherung und Zentralisierung der Reichsgewalt ging. 1575 wurde er Stiftsherr des Hamburger Domkapitels, obwohl er kein Kleriker war. 1578 ordnete er den Streit um die Hoheitsrechte des Klosters Uetersen, 1582 regelte er Grenzstreitigkeiten mit Hamburg um das Dorf Farmsen.

Einige Monate nach seiner Teilnahme im Juli 1584 beim Kieler Reichstag verunglückte Dr. Adam Tratziger tödlich im Oktober des Jahres; er wurde im Hamburger Dom beigesetzt, der 1804 abgerissen wurde.

 vhg bib besonderheiten Tratziger 2

 

     c) Der alten weitberuhmeten stadt hamburg chronica und jahrbucher

Wie ein vielbeschäftigter Justiziar die Zeit aufbringen konnte, ein umfassendes geschichtliches Werk samt aufwändigen Recherchen zu verfassen, ist beeindruckend. Trotz seiner intensiven Arbeitsbelastung fand Tratziger die Energie, mehr als ein Dutzend Quellen für seine Chronik zu lokalisieren und zu konsultieren. Hierfür benutzte er verschiedene Urkunden wie Amtsrollen, Chroniken und Archivakten sowie handschriftliche Abrisse aus früheren Zeiten. In seinen Worten auf der Titelseite ``mit besonderm vleiß aus glaubwirdigen geschichtschreibern, alten jahrbuchern, brieflichen urkunden, vertregen und recessen zusammengezogen durch D. Adam Tratzigern. Anno M.D.LVII.´´ (p1)

Tratziger schloss seine Chronik am 29. Dezember 1557 mit der Bemerkung ab: ``[…] diz geendigte 57. jar, in welchem ich diese jarbucher durch genedige verleihunge deß ewigen almechtigen gottes beschlossen. Der verleihe uns hinfortan zeitlich und ewig seine genade und segen. Amen.´´ (p297)

Das Werk ist in vier Teile aufgegliedert. Es beginnt in vorchristlicher Zeit, berichtet von der Zeit Karls des Großen um 800 und dem Zerfall des Karolingerreichs bis zum Habsburger Kaiser Karl V. in den 1550er Jahren. Die Wirren und Zerrungen der Europäischen Machtpolitik, der Bedeutungsverlust der Hanse, das Erstarken der Territorialstaaten und die religiösen Konflikte um die Reformation finden ihren Niederschlag in Tratzigers Abriss. Mehrere detaillierte Stammbäume, Ahnentafeln und Geschlechterübersichten sind ergänzend eingefügt.

Tratzigers Chronik berichten von permanenten Streitigkeiten, Zwistigkeiten, Gewalttätigkeiten, Überfällen, Feldzügen, Grenzkämpfen, Rechtsbrüchen, Plünderungen, Eroberungen und Friedenschlüssen. Hamburger, Dänen, Wenden, Friesen lebten in ständiger Konfrontation. Zwar finden Hungersnöte, Hochwasser, zahlreiche Pestjahre, eisige Winter und eine Sonnenfinsternis in 1406 Erwähnung, die meisten Einträge spiegeln jedoch die Auseinandersetzungen um die Machtverteilung in den zahlreichen Kleinstaaten um die weltliche und kirchliche Autorität, in die Hamburg auf mehrseitige Art und Weise verwickelt war.

     d) Exzerpte

Für das Jahr 915 wird dieser Angriff erwähnt: ``Als aber bei seiner zeit die Ungern ganz Deutschland durchstreifeten und bis gen Bremen kamen, erhuben sich auch die ungleubigen Wenden und Denen, uberfielen die stadt Hamburg; und, dieweil sie noch besunders nicht bevestiget war, verhereten sie dieselbe mit fewr und dem schwert.´´ (p19)

Im Jahr 965 veranlasste Kaiser Otto I., Benedikt V., ``den gefangenen bapst, daß er ihn mit sich nehmen und zu Hamburg enthalten solte. Also ist der bapst mit dem erzbischof gen Hamburg gekomen, alda er gotfruchtig, stil und frumdlich gelebet.´´ (p23/24) Papst von Mai bis Juni 964, wurde Benedikt von Otto abgesetzt, aus Rom verbannt, degradiert und dem Hamburger Erzbischof Adaldag unterstellt und als Gefangener des Kaisers nach Hamburg gebracht, wo er 965 oder 966 starb.

Bei einem Friedenschluss zwischen Adolf von Holstein und dem König von Dänemark wurde 1237 seine Tochter Mechthild zur Vertragssicherung an Abel, Herzog von Schleswig, verheiratet. ``Zu dieser hochzeit wurd gefordert der Rat zu Hamburg, die ihre botschaft dahin fertigten, verehreten eine statliche summa geldes, dazu kauften sie […] den zol zu Oldeslohe, fur 200 mark lotiges silbers, damit sie den grafen begiftigten.´´ (p45)

In 1238 ``macheten die von Hamburg eine bundnus mit den Wurstfriesen und Hadelern und vertrugen sich mit einander, daß einer des andern gebiet sicher und unbeschwert besuchen mochte mit kaufmanschaft und anderen gewerben; daß auch kein teil dem andern einige gestrandete schif oder guter solte vorenthalten […] Von der zeit an vermehret sich Hamburg, teglich an gewerb, handel und kaufmanschaft.´´ (p45/46)

1399 gab es eine Fehde zwischen Hamburg und Albrecht I. von Bayern, Graf von Holland, und holländischen Städten. ``Ein teil beschedigte das ander mit todschlag, mit raub und brande.´´ (p116)

Da die Hamburger dem Grafen von Schleswig-Holstein ihre Unterstützung zugesagt hatten, griffen sie 1420 in einen schwelenden Erbfolgestreit zwischen ihm und König Erik VII. von Dänemark ein. Dabei besiegten sie die dänische Flotte. Sie ``rusteten auf ir eigen unkost und abenteur 12 große schiffe, die bemanneten sie stark und liefen mit zur sehe. Inen begegneten die Denen mit einer großen flate. Die Hamburger, ob sie wol nicht gleich stark waren, griffen sie doch die Denen mit freiem mute an, und segelten inen erstlich drei schiffe in die grunt mit allem was darinnen war.´´ (p149)

1488 war Hamburg erneut in Seegefechte verwickelt. ``Anno 88. geschahen in der sehe viel zugriffe von den Friesen, unter dem scheine, als gulte es wider die Hollender, die ire feinde waren. Als sich aber in der tat befant, daß sie nicht alleine die Hollender, sunder auch die kaufleute und den sehfarenden man aus den stetten beschedigten und beraubeten, bemanten die von Hamburg etliche schiffe […] stelleten sie sich zur kegenwer, aber sie wurden ubermannet, gefangen und gefenglich gen Hamburg gefuret.´´ (p239) Sie wurden als Seeräuber eingestuft und entsprechend behandelt.

Die Reformation hielt Einzug in den 1520er Jahren: ``Anno 1529 wurt aus befehlich des rats der tumb zu Hamburg geschlossen; den als man noch darin lateinisch sang und ezliche alte leute hineingingen und beteten, wurden sie bisweilen von dem losen gesinde uberfaren.´´ (p264) Im selben Jahr mussten die Mönche von St. Johannis ihr Kloster räumen.

Gegen das katholische Fastenwesen war diese Bestimmung in 1527 gerichtet: ``Es wurt auch den knochenhawern nachgegeben, daß sie alle tage fleisch verkaufen mochten.´´ (p263) Und in 1531 wollten ``der rat und burger zu Hamburg den pfaffen das singen im tumb genzlich verbieten.´´ (p266)

Die Altgläubigen und die Lutheraner waren im Streit um die richtige Konfession jahrelang in Konflikte verstrickt. 1544 ``war ein großer widerwill zwischen den predigern zu Hamburg, den der rat stillete und gutlich beilegte.´´ (p283) Dieser Zank, bei dem es um die Auslegung eines Psalms ging, wurde erste vier Jahre später geregelt.

     e) Lappenbergs Ausgabe von 1865

Unzählige Abschriften wurden von Tratzigers Opus angefertigt, die zahllose Fehler und Entstellungen enthalten sollen. Seine mühevolle Arbeit ging erst 1740 in Druck. Die Chronik-Ausgabe in der Bibliothek von 1865 basiert auf einer Lüneburger Handschrift, die von Tratziger selbst noch überprüft worden war.

Dr. jur. Johann Martin Lappenberg (1794 – 1865), mit einem diplomatischen und juristischen Hintergrund ähnlich wie Dr. Adam Tratziger, machte sich in den 1860er Jahren daran, Tratzigers Chronik zu überprüfen und seinen Quellen nachzugehen. ``Den Kreis der dem Tratziger bekannten Documente und Schriften, welche er für seine Chronik benuzte, habe ich thunlichst durchspähet.´´ (LXXX) Rund 300 Jahre nach ihrer Fertigstellung legte Lappenberg eine 347-seitige Ausgabe von Tratzigers Werk vor mit einer Inhaltsangabe, einer 80seitigen Einleitung, zahllosen Fußnoten, einer Inhaltsübersicht, einem geographischen Verzeichnis und einem Wortregister.

Lappenberg zollt dem Verfasser der Chronik großen Respekt, ``daß er ein ganz neues Werk schuf, wie wenige kleine Staaten sich dessen damals zu rühmen hatten, eine Geschichte, nicht von unerfahrenen Klostergeistlichen zusammengetragen, sondern von einem wissenschaftlich und praktisch gebildeten Rechtsgelehrten geschrieben, von einem jungen hanseatischen Staatsmanne, welcher vollkommen begriff, wie Hamburgs Geschichte seit länger als drei Jahrhunderten in derjenigen der deutschen Hanse wurzelte und mit derjenigen der benachbarten Städte enge verzweigt war.´´ (LXIII)

Dr. Lappenberg, Gesandter der Hansestadt Hamburg von 1819 bis 1823, 1849 Abgeordneter des Hamburger Senats im Bundestag in Frankfurt, Mitglied in mehreren Akademien der Wissenschaft, war 1823 bis 1863 Archivar des Senats.

1839 war Lappenberg ein Mitgründer des Vereins für Hamburgische Geschichte. Daher kommt dem Buch mit der Signatur A.III.1b/176 eine doppelte Bedeutung zu. Ihm zu Ehren als Autor von etwa einem Dutzend Büchern hauptsächlich zur Geschichte Hamburgs wird seit 1864 die Lappenberg-Medaille vom Verein für Hamburgische Geschichte für herausragende Verdienste um die Forschung zu Hamburgs Geschichte verliehen, zuletzt 2019.

In Erinnerung an Johann Martin Lappenberg gibt es in Eimsbüttel eine Lappenbergsallee. Aber auch Tratziger hat eine Straße. Nicht weit von der Vereinsbibliothek wird an ihn durch ein Straßenschild erinnert: Die Tratzigerstraße im Bezirk Wandsbek, wo er mehrere Jahre lang ein Gut besaß.

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In der Bibliothek ist eine Auswahl relevanter Titel zu finden:

Gottfried Ernst Hoffmann, Aus der Tätigkeit Tratzigers als Kanzler Herzog Adolfs von Schleswig-Holstein. In: Zeitschrift des Verein für Hamburgische Geschichte, Band 49/50, p41-52. Hamburg 1964.
A.I.2 / 198 D

Johann Martin Lappenberg, Historischer Bericht über Hamburgs Rechte an der Alster. Hamburg 1858.
A.II.5 / 097

Johann Martin Lappenberg, Hamburgische Chroniken in niedersächsischer Sprache. Hamburg 1861.
A.III.1.b / 098

Johann Martin Lappenberg (Hrsg.), Tratziger’s Chronica der Stadt Hamburg. Hamburg 1865.
A.III.1.b / 176

Friedrich Gottlieb Zimmermann, Neue Chronik von Hamburg, vom Entstehen der Stadt bis zum Jahre 1819. Hamburg 1820.
A.III.3.b /198

Johann Martin Lappenberg, Die Miniaturen zu dem Hamburgischen Stadtrechte vom Jahre 1497. Hamburg 1845.
A.IV.1.a / 55

Johann Martin Lappenberg, Die ältesten Stadt-, Schiffs- und Landrechte Hamburgs. Hamburg 1845.
A.IV.1.a / 099

 

 

...vorgestellt im Herbst 2022

 

Des Hauptpastors schwungvolle Predigten auf St. Jacobis Kanzel

präsentiert von J.R.

Zu den ältesten Werken in der Bibliothek gehört Der rechtschaffne Naturalist mit seinem christlichen Auge und Herzen bey natürlichen und weltlichen Dingen. In sechszig erbaulichen Betrachtungen abgebildet und ausgefertiget von Christian Samuel Ulber, Pastor zu St. Jacob in Hamburg.

vhg bib besonderheiten Pastor Ulber 1

1. Vom Theologiestudent zum Prediger Christi

Christian Samuel Ulber (8/1714-8/1776), Theologe, Gelehrter, Seelsorger, Autor, Prediger, war fast zwanzig Jahre lang der leitende Pastor einer der fünf Hauptkirchen im Zentrum der Stadt, St. Jacobi an der Steinstraße. Geboren in Schlesien und schon durch Vater und Großvater religiös geprägt, begann Ulber 1732 ein Studium der Theologie und Philosophie in Jena. Nach einiger Zeit als Hauslehrer und Erzieher trat er in den Dienst der Kirche. Im Landeshuter Kirchenbuch wird er von 1741 bis 1757 als Prediger im Ort oder Kreis Landeshut in Niederschlesien aufgeführt.

Im Herbst 1757 übernahm Ulber das Amt des Hauptpastors an St. Jacobi in Hamburg, nachdem 1756 der bisherige Pfarrer Erdmann Neumeister nach 50jähriger Tätigkeit verstorben war. Vermutlich war er durch seine Predigten und Schriften bekannt geworden, sodass der Rat der Stadt und die Gremien der Kirchspiele seine Wahl befürworteten, oder man lud den schlesischen Gelehrten ein, nachdem ein Theologe aus Danzig ein entsprechendes Angebot nicht angenommen hatte. Nach fast 20jähriger intensiver Tätigkeit konnte er aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen seine Pflichten nicht mehr erfüllen; Ulber starb im Sommer 1776 in Hamburg.

Noch vor seiner Berufung zum Hauptpastor in Hamburg war er 1754 zum Ehrenmitglied der Königlichen Deutschen Gesellschaft ernannt worden, eine Vereinigung zur Pflege und Förderung der deutschen Sprache. Eine Abhandlung zu diesem Anlass betitelte er Gedanken von der wahren Ehre eines Gelehrten, in einem Danksagungsschreiben entworfen, von einem geehrten Mitgliede in Schlesien. Hierin schreibt er (p294): `Sie haben mich dadurch, daß Sie mich zu Dero Mitgliede zu erwählen beliebet, recht mit Gewalt auf hohe Gedanken gebracht, und ich finde in dieser Wahl so etwas reizendes, daß ich es mir zu einer Schande rechnen würde, wenn ich daraus nicht eine Ehre erkennen wollte.‘ (Ulbers Text ist abgedruckt in Der Königlichen deutschen Gesellschaft in Königsberg Eigene Schriften in ungebundener und gebundener Schreibart. Erste Sammlung. Königsberg 1754, p283-296).

Während seiner Tätigkeit in Hamburg ehrte ihn 1767 die Universität Wittenberg zum Poeta Laureatus als hohe Auszeichnung für seine dichterischen Arbeiten in Form von geistlichen Liedern und kirchlichen Texten.

 

2. Ulbers zahlreiche Schriften im Dienste Gottes

vhg bib besonderheiten Pastor Ulber 2

Vor und während seiner Zeit in Hamburg verkündete der Pastor seine Gedanken, er veröffentliche auch Auszüge der Predigten oder ließ seine Texte in Gänze drucken. Er publizierte Festandachten, Trauerreden (Die mächtige Gnade Gottes in ohnmächtigen Menschen), Passionspredigten (beispielsweise Gottgeheiligte Betrachtungen über den leidenden und sterbenden Jesu in zwölf Predigten, gehalten in Landeshut, in zweiter Auflage gedruckt 1757) und Der christliche Kreuzträger, oder erbauliche Betrachtungen über das menschliche Elend des Leibes und der Seele, welche zur Erweckung der Sichern, zur Befestigung der Schwachen, und zum Trost der Betrübten, unter göttlichem Beystande entworfen und dem öffentlichen Druck überlaßen (Hamburg 1760). Ob seine unterschiedlichen Predigten genauso gehalten wurden, oder ob sie erst in weiter ausgearbeiteter Form gedruckt wurden, ist nicht ersichtlich.

Ulber äußerte sich vielleicht auch zu einer der größten Naturkatastrophen der Zeit. Anlässlich des verheerenden Erdbebens in Lissabon im November 1755 mit bis zu 100.000 Toten und fast totaler Zerstörung der Stadt samt der meisten Kirchen erschien diese Predigt: Die Canzel Gottes auf dem Steinhaufen zu Lissabon. Ob diese Angaben zutreffend sind, ist nicht mit Sicherheit festzustellen, zumal Johann Melchior Goeze, seit 1755 Hauptpastor an St. Katharinen, in einer seiner Kanzelreden, gehalten am 11. März 1756, ebenfalls von einem Steinhaufen in Lissabon gesprochen hat.

Pastor Ulber, Theologe und Gelehrter, scheint noch kaum Gegenstand der Forschung gewesen zu sein. Nur eine begrenzte Anzahl digitaler Quellen steht zur Verfügung; ohne Archiv-Recherchen oder Zugang zu Primärliteratur sind manche Angaben mit Zurückhaltung zu betrachten, insbesondere variabel angegebene und nicht überprüfbare Nennungen.

 

3. Politik und Kirche

Wie es zu diesen Zeiten üblich war, widmete ein Autor sein Werk einer hochgestellten Per­son. Ulber dedizierte sein Buch Der rechtschaffne Naturalist `Dem Magnifico Hochedelgebohrnen und Hochgelahrten Herrn, Herrn Jacob Schuback, beyder Rechten Licentiaten, der Kayserlichen freyen Reichsstadt und Republik Hamburg Hochansehnlichem Syndico, Meinem Hochzuverehrenden Herrn und Hochgeschätzten Gönner´.

Die Familie Schuback genoss in Hamburg einiges Ansehen. Vater Nicolaus Schuback (1700-1783) hatte zwölf Jahre vor Ulber ebenfalls in Jena studiert, war Jurist, 1742 als Ratsherr zu Verhandlungen beim Dänischen König und zwischen 1754 bis 1782 Bürgermeister Hamburgs. Sohn Jacob (1726-1784), Ulbers Wohltäter, dessen Gewogenheit `ich wirklich zu einem besondern Troste meines Lebens rechne‘, bekleidete eine wichtige Funktion als Berater oder auch als Vertreter des Senats bei bedeutenden Sitzungen. So war er 1771 Gesandter beim Reichstag in Regensburg, bei dem sich zwischen 1594 und 1806 die Stände des Heiligen Römischen Reichs ver­sammelten. Neben seiner politischen Tätigkeit komponierte er Oratorien, Choräle, Kantaten und verfasste theologische Schriften. Diese Interessen könnten den Politiker und den Kirchenmann verbunden haben.

vhg bib besonderheiten Pastor Ulber 3neuOffensichtlich gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem neuen Pastor und den beiden Hamburger Persönlichkeiten. Welcher Zusammenhang aber zwischen Christian Samuel Ulber und Vater und Sohn Schuback und seiner Berufung nach St. Jacobi bestand, und in welcher Weise sie ihn genau gefördert haben, ist ohne detaillierte Untersuchungen nicht festzulegen. Die, wie auch heute in Hamburg, enge Verflechtung zwischen Wirtschaft, Politik, Kirche und Gesellschaft wird vermutlich eine Rolle gespielt haben.

Im 18. Jahrhundert war Deutschland ein Verbund von mehr als 300 Territorial-Fürstentümern und freien Städten. Bis 1806 gehörten die Kleinstaaten zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Religion und Kirche zusammen sicherten Staat und Gesellschaft; Gesetze und Ordnung waren Aufgabe der Landesherren, für Sittlichkeit und Tugend waren Kirchen und Religion zuständig. Wie Bürgermeister Schuback in seiner Stadt die weltlichen Belange regelte und Senatssyndicus Schuback die politisch-geschäftlichen Bezüge, setzte sich Hauptpastor Ulber nach Kräften für die inneren Werte der Bevölkerung ein.

 

4. Abwendung vom Gottesglaube und kirchliche Gegenbemühungen

Im Nachhall der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts bis hinein in das 18. Jahrhundert verloren Religion und Kirchen langsam an Wichtigkeit, ihre Bedeutung für die Erziehung wurde schwächer, ein Rückgang der Frömmigkeit war zu bemerken. Die Leute gingen weniger in die Kirche, katholische Seelenmessen nahmen ab, ebenso wie die Beteiligung am evangelischen Abendmahl.

Um der schwindenden Wertschätzung der Kirche und der nachlassenden Gläubigkeit entgegenzuwirken, bemühten sich protestantische Theologen, die Menschen zu Bibel und Gott zu führen. Ihr Amt und ihre Bemühungen verstanden sie als Vorbildfunktion, denn die `Gottesgelehrten‘ verstanden sich als `Wegweiser‘ und jeder von ihnen, `muß billig voran steigen, damit ihm andre nachfolgen‘ (Vorbericht XIII). Und hierbei kam der Ansprache von der Kanzel große Wichtigkeit zu: `Der Glaube kommt aus der Predigt. Wie sollen sie glauben, von dem sie nichts gehöret haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?‘ (32. Betrachtung, Ueber das Gehör, §2).

In Sinne der evangelischen Frömmigkeitsbewegung sprach und schrieb St. Jacobis Pastor unermüdlich, `um vielen den in seinen Werken noch unbekannten Gott theils bekannter, theils auch dadurch liebens- und anbethenswürdiger zu machen‘ (Vorbericht IX).

Ulbers Buch zählt zur Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts, deren Ansinnen es war, zu christlich-tugendhaftem Leben anzuleiten, das soziale Denken zu fördern und damit nicht zuletzt der Beziehung von Gemeinde und Kirche zu dienen. Veröffentlichungen umfassen Dichtungen wie Kirchenlieder und religiöse Schriften wie Predigtsammlungen, Bekehrungsgeschichten, Heiligenlegenden oder Meditationen über die Passion Christi. Ihr Ziel es ist, dem Leser Ehrfurcht vor dem Göttlichen zu vermitteln und die Hinwendung zum Glauben zu fördern.

Derartige Schriften waren weniger `für die Gelehrten‘ bestimmt, `denn die können selber denken, als vornehmlich für den Ungelehrten und gemeinen Mann‘ (Vorbericht XIX). In entsprechender Weise musste die Botschaft von der Kanzel formuliert sein, um die Menschen in der Stadtkirche, in der Dorfkapelle oder auf den Seiten eines Buchs anzusprechen.

 

5. Der rechtschaffne Naturalist

Eine von Ulbers Veröffentlichungen nennt sich Der rechtschaffne Naturalist. Dieses Buch erschien zuerst 1765, 1766 in zweiter Auflage und bereits 1769 in dritter Ausgabe mit 611 Seiten, weitere folgten. Ein Exemplar dieser Ausgabe ist im Besitz der Bibliothek (Signatur A.XI.1 /182, nur dort zu lesen).

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Das Werk enthält eine Sammlung von fünf Dutzend Predigten. In welchem Jahr sie gehalten wurden, ist nicht angegeben, wohl aber an welchem Tag: 2. Weihnachtstag, 5. Sonntag nach Epiphanias oder 25. Sonntag nach Trinitatis. Als Betrachtung betitelt werden verschiedene Bibelstellen ausgelegt. Eine Widmung eröffnet das Werk, und eine Einführung, genannt Vorbericht, bereitet den Leser auf die folgenden Ausführungen vor. Am Ende findet sich ein ausführliches Verzeichnis `der vorkommenden wichtigsten Sachen‘ in Stichworten wie Ausdünstung, Austern, Bimstein, Esel, Gewitter, Nase, Ungeziefer oder Würmlein und der angeführten Bibelstellen.

Ausgehend von Schriftstellen, die zu bestimmen Zeiten, Tagen oder Anlässen angebracht sind, illustriert Ulber wortreich seine Ausführungen. Basierend auf Versen aus dem Alten und Neuen Testament, greift der Pastor zu Vergleichen aus dem täglichen Leben, die jedem bekannt und zugänglich sind. Um seine Zuhörer- und Leserschaft für seine Erläuterungen zu begeistern, werden Bäume, Mond, Sterne, Berge, Winter, aber auch Wein, Sprache oder das Verhalten einer Henne eingespannt. Gelegentlich werden seine Aussagen eher gebetsartig formuliert. Seine rhetorischen Fähigkeiten haben vermutlich Zuhörer und Leser beeindruckt und hoffentlich zu ihrer frommen Erbauung beigetragen.

Wie in Ulbers Widmung zu lesen ist, hat sein Buch `die Ehre Gottes, die Beförderung des Christenthums, und das Heil der Seelen zum Zweck‘. Doch er will nicht nur Seelen retten, sondern auch `den Unglauben mit allerley Wehr und Waffen […] bekämpfen‘ (Vorbericht XI). Seine Worte in Schriften und Predigten sind dafür im Einsatz, sie fesseln Leser und Kirchengemeinde gleichermaßen.

 

6. Der Hamburger Pastor weist den Weg zu Frömmigkeit und Seelenheil

Das Frontispiz erlaubt die Vorstellung, wie Pastor Ulber, gewandet in schwarzem Talar und weißer Halskrause, bedeckt mit Amtsperücke, vor sich Bibel und Predigtstichworte, von seinem erhöhten Podium aus einen Schwall an Ermahnungen, Rügen, Belehrungen, Aufmunterungen, Ratschlägen über die erwartungsvollen Kirchgänger auf ihren harten Holzbänken herabregnen lässt. Gebannt lauschen sie jeden Sonntag seinen eindringlichen Reden.

Der Kirchenmann spart nicht mit Vorwürfen: `Höre doch, Mensch! wie die Vögel auf den Bäumen ihrem Schöpfer ihr Loblied singen, wie früh sie anfangen. Und du schweigst. Schämst du dich nicht?‘ (1. Betrachtung, Ueber die Zweige der Bäume, §11).

Mit erhobenem Zeigefinger werden die Abtrünnigen zur Wandlung gemahnt: `Sünder! der Neumond erinnert dich, daß auch du zum neuen Menschen werden sollst.‘ (2. Betrachtung, Ueber Mond und Sterne, §7).

Die Menschen sollen sich auf eine direkte Beziehung zu Gott einlassen: `Das allerbeßte Gespräch ist die Unterredung mit Gott. Allein auch das ist eine Sprache, die den meisten unbekannt ist.‘ (30. Betrachtung, Ueber die Zunge und Sprache, §7).

Weder Ulber selbst, noch jeder andere Mensch soll vom rechten Glauben abweichen: `Zeige mir noch so viele Religionen und Kirchen. Ich laße mich nicht irren, ich finde doch keinen beßern Heiland, als ich schon habe.‘ (6. Betrachtung, Ueber eine Gluckhenne, §6).

Die Bibel vermittelt die Sicherheit des Glaubens, die jeder Erschütterung standhält: `O du vortrefliches Evangelium! nun ich dich vollends höre, nun bin ich meiner Sache so gewiß, daß ich mich nicht fürchtete, wen auch jetzt die Erde unter meinen Füßen zu zittern anfienge.‘ (18. Betrachtung, Ueber die Berge, §14).

Frommen Christen winkt die Belohnung: `Laß mich vielmehr unter den Gesegneten seyn und zu der Gemeine der Erstgebohrnen, und der vollendeten Gerechten in den Himmel kommen.‘ (13. Betrachtung, Ueber eine Menge Volks, §14).

Insbesondere diejenigen, welche sich mit der Natur anfreunden und sittsam leben, erwartet ein freudiges Ende: `Ich weis auch, daß mein Erlöser lebt, und daß alle rechtschaffne christliche Naturalisten in den Himmel kommen.‘ (60. Betrachtung, Ueber den Winter, §12).

Um den entschiedenen Worten des Pastors mehr Nachdruck zu verleihen und das Innere seiner Zuhörer noch mehr zu treffen und zu bewegen, wurden die Predigten wahrscheinlich von Klängen aus der Schnitger-Orgel eingerahmt. Ein Fortissimo dieses mächtigen Instruments sollte die Seelen der Gemeinde näher zu Gott bringen und damit den Zweck seiner Ausführungen untermalen.

 

7. Mann der Kirche, des Glaubens und der Worte

Pastor Christian Samuel Ulber war ein überaus engagierter evangelischer Geistlicher und Prediger des 18. Jahrhunderts. Seine sprachlichen Fähigkeiten, die Leser und Zuhörer in seinen Bann zogen, sollten seinem Auftrag zur Ehre gereichen; ein Pastor sollte das Wort Gottes verkünden und seine Gemeinde für seine Botschaft gewinnen: ` Das nenne ich Ehre, wenn ein Gottesgelehrter auch ein guter Redner ist.‘ (Gedanken von der wahren Ehre eines Gelehrten, p292).

Seine Kontakte in die Hamburger politische und wirtschaftliche Oberschicht als leitender Pastor einer wichtigen Kirche und als Theologe und Gelehrter Teil der Bildungselite gaben ihm ein Gewicht im Gefüge des Stadtstaates. Aufgrund seiner Position erhielt seine Forderung nach Rückbesinnung auf Bibel und Frömmigkeit für diejenigen, welche seine Predigten hörten oder lasen, ein größeres Maß an Bedeutung und die Hoffnung auf Erlösung: `Laß mich und alle meine Leser aus dem Natur- und Gnadenreich endlich bis ins Himmelreich kommen. Amen!‘ (Vorbericht XXIV).

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Zur Ergänzung finden sich in der Bibliothek einige Titel (die Pastor Ulber allerdings kaum erwähnen, mit einer Ausnahme):

Thiess Johann Otto, Versuch einer Gelehrtengeschichte von Hamburg nach alphabetischer Ordnung mit kritischen und pragmatischen Bemerkungen. Erster Band. Hamburg 1789 (Ulber ist Nr. 655).

A.XI.2 / 178

Daur Georg, Von Predigern und Bürgern. Eine hamburgische Kirchengeschichte von der Reformation bis zur Gegenwart. Agentur des Rauhen Hauses. Hamburg 1970.

A.XII.1.a / 029

Witte Johann, Zuverläßige Nachrichten von den Evangelisch-Lutherischen Predigern in der Stadt Hamburg, und in deren alleinigen und gemeinschaftlichem Gebiete, vom Anfang der Religionsverbesserung bis auf diese Zeit, nebst den Funktionen der Kirchen. Hamburg 1791.

A.XII.1.a / 190

Mohaupt Lutz, Die Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg. Baugeschichte, Kunstwerke, Prediger. Friedrich Wittig Verlag, Hamburg 1982.

A.XII.3 / 074a

700 Jahre St. Jacobi zu Hamburg 1255-1955. Festschrift aus Anlass der 700-Jahrfeier zusammengestellt und hrsg. durch den Kirchenvorstand der Hauptkirche St. Jacobi zu Hamburg. Hamburg 1955.

A.XII.3 / 075

Die Arp-Schnitger-Orgel der Hauptkirche St. Jacobi Hamburg. Festschrift aus Anlass der Wiederweihe am Sonntag - Septuagesimae - 29. Januar. Hamburg 1961.

A.XII.3 / 090

 

 

...vorgestellt im Sommer 2022

 

Unsere Sammlung alter Hamburg-Führer

präsentiert von Lilja Schopka-Brasch

In unserer Vereins-Bibliothek findet sich eine umfangreiche Sammlung historischer Reiseführer, die die Entwicklung Hamburgs und seiner Umgebung abbildet, darunter sind Exemplare, die es nur noch in unserer Vereinsbibliothek gibt. Aus dieser Sammlung wurde bereits ein Hamburg-Führer bei unseren „Besonderheiten“ vorgestellt (siehe unten im Anschluss an diesen Text: Ein besonderer Reiseführer). Nun folgen weitere Informationen zur Sammlung und zu einzelnen Ausgaben.

Die Sammlung umfasst 287 Reiseführerexemplare diverser Ausgaben und Auflagen aus vier Jahrhunderten. Der Sammler Richard Firch erläutert seine Auswahl:

Unter dem Begriff ‚Hamburg-Führer‘ habe ich alle Stadtbeschreibungen (Topographien) handlichen Formats zusammengefasst, deren Zweck es war, den ‚Einheimischen und Fremden‘ einen Überblick über die Stadt (und deren Umgebung) und über die für die Reisenden interessanten Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten zu vermitteln. Sie beschreiben entweder die Stadt (und Umgebung) insgesamt oder auch nur einzelne Stadtteile wie Altona, Harburg und Bergedorf. Einbezogen wurden Veranstaltungsführer mit einer Beschreibung Hamburgs. Hafen- und Wanderführer ohne Stadtbeschreibung sowie Führer, die nur einzelne Institutionen beschreiben, und sogenannte Verkehrsbücher wurden nicht berücksichtigt, desgleichen keine Reisehandbücher, die in einem größeren Zusammenhang auch Hamburg beschreiben wie […] der Baedecker.

Erschließen lässt sich die Sammlung mittels einer Bibliografie, die Richard Firch auf Grundlage seiner Sammlung sowie umfangreicher Recherchen in weiteren Privatsammlungen und Bibliotheken erstellt hat, chronologisch nach Verlegern geordnet. Hier hat er Stadtführer von 1668 bis 1939 erfasst und Abbildungen zahlreicher Einbände mit aufgenommen. Einleitend gibt er einen Überblick über die Geschichte der Reiseführer und ihrer im 19. Jahrhundert einsetzenden rasanten Entwicklung. Technische Neuerungen im Buchdruck, aber auch Veränderungen im Stadtbild und die zunehmende Zahl Reisender durch den Ausbau der Verkehrsnetze steigerte die Nachfrage nach Reisehandbüchern und machte ihre stetige Aktualisierung notwendig.

Nach Richard Firchs Recherchen stammt der älteste Hamburg-Führer aus dem Jahr 1668. Der Autor Kunrat von Hövelen schildert darin zunächst die Geschichte Hamburgs von ihren Anfängen bis ins ausgehende 13. Jahrhundert. Er beschreibt die Stadt und ihre Kirchen, die nähere und weitere Umgebung, kommentiert Kulturelles und Kulinarisches und informiert über Unterbringung und Unterhaltung. Seine Ausführungen untermalt er mit zahlreichen Zitaten früherer Geschichtsschreiber. vhg bib besonderheiten Reisefhrer 2 Signatur AII2a 0042

vhg bib besonderheiten Reisefhrer 1 Signatur AII2a 001

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Hamburgs Annehmlichkeiten von einem Ausländer beschrieben“ führen uns ins Hamburg des ausgehenden 18. Jahrhunderts. In Briefen schildert der Autor die Anreise per Schiff und auf dem Landweg, beschreibt Spaziergänge in und um Hamburg und erläutert Ess- und Trinkgewohnheiten der Einheimischen. Die erweiterte Neuauflage enthält neben weiteren Spaziergängen 134 Paragrafen mit praktischen Informationen zu Ankunft, Aufenthalt und Abreise mit detaillierten Angaben zu Sitten und Bräuchen, zu Preisen sowie Verhaltensempfehlungen für Ortsfremde, Geschäftsleute wie privat Reisende.

Heinrich Meyers „Fremdenführer oder Hamburg und seine Umgebung“ von 1827 erschien wenige Jahre nach dem Ende der Franzosenzeit mit folgender Begründung:

„Die seit Hamburgs Wiedergeburt, sowohl innerhalb seiner Mauern, als außerhalb derselben Stattgehabten mannigfachen und bedeutenden Veränderungen der staatswirthschaftlichen Verhältnisse und örtlichen Beschaffenheit, führten natürlicher Weise auch sehr bald das Verlangen nach einem neuen statistischen und topografischen Handbuche, einem sogenannten Wegweiser für Fremde, herbei.“

Dieser Reiseführer beschreibt die Stadt vor allem anhand von Institutionen, Gebäuden, Vereinen und Gesellschaften sowie Denkmälern. Detailliert beschriebene Spazierrouten erschließen das Umland. Ein umfangreiches Verzeichnis enthält Adressen von Konsulaten, Ärzten, Juristen oder Fremdsprachenlehrern, von Unterkünften, Speiselokalen und Postämtern. Ein Stichwortverzeichnis gibt schnelle Orientierung.vhg bib besonderheiten Reisefhrer 3 Signatur AII2a 013a

Schon diese kleine Auswahl lässt erkennen, dass die Sammlung Einblicke in städtebauliche, sozialgeschichtliche oder verkehrstechnische Entwicklungen gibt. Seit den 1850er Jahren wurden die Hamburg-Führer auch als Werbeträger genutzt. Mehr über unsere Hamburg-Führer können Sie demnächst in dieser Rubrik erfahren.

 

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Eine besonderer Reiseführer

Dem Verein wurde eine Sammlung Reiseführer aus der Zeit vom 17. bis 20. Jahrhundert von einem Mitglied gestiftet (siehe oben)

Aus dieser Sammlung möchten wir einen in Hamburg nur in unserer Bibliothek vorhandenen Titel vorstellen:

"Richtiger Wegweiser auf Reisen von der Stadt Hamburg und anderen großen Städten durch ganz Deutschland nebst Meilenanzeiger und Verzeichniß aller Münzen die in Deutschland gangbar sind, wie auch christliches Gebetbuch und Gesänge zur Haus-Andacht und auf Reisen zu gebrauchen."
(erschienen ca. 1780 mit einem Titelkupfer von 1765; Druck: A. P. Wichers. 216 Seiten, 1 Faltplan)

Darin enthalten, ist die mutmaßlich älteste Beschreibung St. Paulis.

Wenn Sie mehr darüber in Erfahrung bringen wollen und im alten "Wegweiser" blättern möchten, freuen wir uns über Ihren Besuch in der Vereinsbibliothek.

 

 

...vorgestellt im Herbst 2015

 

Antje Büttner präsentiert uns ein außergewöhnliches Fotoalbum, das "Die Bergung der Avaré" zeigt:
Die zur Vorlage beim Seefahrtsamt erstellte Dokumentation der Bergung des im Juni 1922 gekenterten brasilianischen Dampfers Avaré. Die Mappe mit 24 Originalfotografien wurde im Auftrag der Bugsier Bergungs- und Rettungsgesellschaft vom Hamburger Fotografen Otto Reich erstellt.

Die vordere Umschlagseite ist beschriftet mit:

Die Bergung der "Avaré"
Brutto Reg. T 8227.  Netto Reg. T 4952
gekentert im Hamburger Hafen am 16. Juni 1922.
aufgerichtet am 17. August 1922.
Überreicht durch die
Bugsier-, Reederei-und Bergungs-Aktiengesellschaft.

Am linken Rand befindet sich eine handgemalte Flagge in den Farben rot, weiss, weiss, blau mit den Buchstaben B /R/ B /A. Seit 1919 das Firmenzeichen der Bugsier AG, dem damals größten Schleppbetrieb Hamburgs, der 1866 unter der Bezeichnung "Vereinigte Bugsir-Dampfschiffgesellschaft" gegründet wurde. Im Inneren der Mappe zunächst ein "Inhalts-Verzeichnis" mit Datierung und kurzer Beschreibung der folgenden 24 Fotografien, beginnend am Tag des Unfalls. Fast alle Aufnahmen am rechten unteren Rand, über dem Stempel des Fotografen numeriert. Die Zahlen, schon im Negativ eingefügt, weichen von der Chronologie der Übersicht ab.

bibliothek besonderheiten avare 2017 
Zur Geschichte der vorangegangenen Havarie: Nach einer Generalüberholung auf der Vulkanwerft kenterte der Dampfer beim Ausdocken. 26 Seeleute und 13 Hafenarbeiter fanden den Tod. Ursache des Unglücks war die unzureichende Auffüllung des Doppelbodentanks. Die frei beweglichen Wassermassen gerieten beim Andrehen der Schleppkähne in Bewegung und brachten das Schiff in die verhängnisvolle Seitenlage. ”Vier Schlepper hatten das brasilianische Schiff rückwärts aus dem Dock verholt. Es neigte sich sogleich stark nach Backbord, wobei die offenen Bullaugen bereits Wasser übernahmen, richtete sich kurz wieder auf, krängte hinüber nach Steuerbord und kam dabei schließlich zum Kentern.”(www.fof-ohlsdorf.de)

Für die Bergung des im Ellerholzhafen liegenden Schiffes wurden am Kai des Schuppens 132 Holzpfähle in den Boden gerammt als Halt für 22 schwere Dampfwinden (Zugkraft 5 Tonnen), deren Zugseile und Flaschenzüge zur Avaré führten. Die Aufstellung der Winden (Firma Podeus) ist auf der Abbildung mit der Ziffer 26 in unserem Album zu finden. Die letzte Fotografie der Mappe zeigt die Situation nach der erfolgreichen Aufrichtung am 7. September 1922. Eine ausführliche Beschreibung der Bergungsarbeiten mit tagelangen Tauchgängen, dem Einsatz von neuen Hebelböcken, Bergungsschiffen und Hebekränen findet sich in der im Herbst 2016 erschienenen Jubiläumsschrift: “150 Jahre Bugsier” von Jan Mordhorst.

Ursprünglich stammte die Avaré von der Bremer Vulkan Werft (Stapellauf 5.12.1912) und wurde vom Nordtdeutschen Lloyd unter dem Namen “Sierra Salvada” als Fracht-und Passagierschiff für die Südamerika-Route genutzt. 1917 beschlagnahmt, fuhr sie nach Ende des Ersten Weltkrieges unter brasilianischer Flagge für die Lloyd Brasileiro, die das Wrack nach dem Unfall unbedingt loswerden wollte. Der Berliner Reeder und Kaufmann Victor Schuppe kaufte die Avaré dann 1923, ließ sie umbauen und mit einem zweiten, blinden Schornstein versehen. Nichts sollte mehr an die unglückliche Havarie erinnern. Als “Peer Gynt” wurde das Schiff fortan für Kreuzfahrten ab Hamburg eingesetzt. Bis zur Abwrackung 1963 in Wladiwostok fuhr der Dampfer schließlich unter drei weiteren Namen bei verschiedenen Reedern.

bibliothek besonderheiten 2

Historisch wertvoll kann man den fotografischen Bericht über die bis heute größte Bergungsaktion im Hamburger Hafen nennen. Als Zeitdokument liefert die Bilderfolge bei näherer Betrachtung viele Hinweise zum damaligen Stand der Hafen-und Bergungstechnik, den Arbeitsprozessen und Unternehmensverbindungen in und um den Hamburger Hafen. Die Fotografien sind von ausgezeichneter Qualität, bis in den Hintergrund sind viele Details zu erkennen. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses erhielten verschiedene Hamburger Institutionen eine Ausgabe des Bergungungsberichts, darunter auch der Verein Hamburger Rheder. Aus deren Dankesschreiben vom 20. Dezember 1922 :
“Das Werk verdeutlicht in überaus anschaulicher Weise eine Tätigkeit, die Ihre Firma unter den schwierigsten Verhältnissen mit dem Willen auf Gelingen übernahm und mit einem Resultat durchführte, für das dem deutschen Bergungswesen und insbesondere der Bugsier-, Reederei- und Bergungs-A.G. die Anerkennung und weiterer erfolgreicher Aufstieg zweifellos nicht versagt bleiben wird.”

Die Herkunft unseres Exemplars ist noch nicht geklärt, die darin enthaltenen Originalabzüge aus Silbergelatine sind mittlerweile ein wenig angegriffen. “Ausssilbern” nennt man den Prozess, der durch den Lichteinfluss der vergangenen Jahrzehnte in Gang gesetzt wurde. Daher befindet sich das Album jetzt im blauen Schrank der Bibliothek des Vereins für Hamburgische Geschichte bis es für den nächsten interessierten Nutzer herausgeholt wird. Im Lesesaal des Staatsarchivs ist es möglich eine Sammlung von Zeitungsartikeln zu der Schiffshavarie von 1922 einzusehen. 

"Die Bergung der Avare" Signatur AVI 3c/158

(Vgl. dazu auch: Jan Mordhorst, 150 Jahre Bugsier. 2016, Signatur A.VI.3.c / 157)

 


Ihr Kontakt zu uns

 

Verein für Hamburgische Geschichte
Melanie Pieper (Leitung der Geschäftsstelle)

Kattunbleiche 19
22041 Hamburg (Wandsbek)
Telefon: (040) 68 91 34 64
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Öffnungszeiten:
Mo und Mi 9:30–12:30 Uhr und 13–18 Uhr

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