Griff in die Geschichte (60)
Erste Ruderregatta auf der Alster
von Margrit Paul
Am 22. September 1844 fand die erste Ruderregatta auf einem deutschen Gewässer statt, zu der sich einige tausend Schaulustige an der Hamburger Außenalster versammelt hatten. Es wurden vier Rennen mit 24 Booten und 118 Ruderern ausgetragen. Für die Zuschauer waren Tribünen aufgebaut worden, so mancher verfolgte das Spektakel hautnah in einem Boot auf der Alster. Höhepunkt war das mit Spannung erwartete Rennen zwischen „Engländern und Deutschen“, zwischen dem „English Rowing Club“ und dem „Hamburger Ruder-Club“. Klarer Favorit war das Boot mit den in Hamburg lebenden englischen Geschäftsleuten. Sie waren einst die Vorbilder für die heimische Ruderklub-Gründung und bei früheren, spontanen Wettfahrten stets die Sieger. Doch bei diesem ersten offiziellen Ruderbootrennen kam es zu einer faustdicken Überraschung…
Das Rudern begann auf der Themse. Die lizensierten „Watermen“ beförderten im brückenarmen London des 17. Jahrhunderts nicht nur Personen und Waren über den Fluss, sondern ruderten auch gegeneinander um den Sieg. 1815 gründeten Oxforder Studenten den Brasenose College Boat Club. Nach den ersten Regatten fand dieser Sport in England immer mehr Anhänger: Der älteste nicht-studentische Ruderverein Leander wurde 1818 gegründet.
Nach dem Ende der napoleonischen Kriege und der Kontinentalsperre und dem Abzug der französischen Truppen setzte in Hamburg ein wirtschaftlicher Aufschwung ein, an dem auch eine nicht unbedeutende Zahl englischer Unternehmungen beteiligt war, vielfach mit hamburgischen Familien durch Heirat oder Freundschaft verbunden.
Als die junge Generation jener englischen Handelshäuser begann, sich aus der alten Heimat leichte Ruderboote kommen zu lassen, um auf Alster und Elbe zu rudern, fand sie bald Nachahmer unter jungen Leuten angesehener Hamburger Familien.
Anfang der 1830er Jahre liegt der Ursprung des „Zusammenschlusses junger Leute zum Zwecke gemeinsamer Ruderfahrten“ in Hamburg.
Maßgeblich beteiligt an der Gründung des ersten Ruderclubs in Hamburg, dem English Rowing Club, waren der Schotte Campbell, der 1816 nach Hamburg eingewandert war, wo er auch sehr schnell das Bürgerrecht erwarb, und der ebenfalls aus einer schottischen Familie stammende Edgar Daniel Roß, dessen Großvater sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts als Arzt in Hamburg niedergelassen hatte. Roß engagierte sich neben seiner kaufmännischen Unternehmungen auch politisch: Er wurde nicht nur Mitglied der neugeschaffenen Hamburger Bürgerschaft und Präses der Handelskammer, sondern auch Mitglied des Reichstages des Norddeutschen Bundes.
Dank der tatkräftigen Unterstützung von Edgar Daniel Roß beschafften sich Cesar Godeffroy und seine Freunde das erforderliche Bootsmaterial aus England und gründeten 1836 den Hamburger Ruderclub.
Zu den 11 Gründungsmitgliedern (Aufnahmegebühr 4 Louis d´Or) zählten u.a. die Brüder Cesar und Adolph Godeffroy, J. C. Heckscher, C. Sillem, C. H. Merck, E. Sieveking und E. D. Roß.
Die vorgeschriebene Ruderbekleidung dürfte uns heutzutage etwas befremdlich erscheinen:
Rot und weiß gestreiftes Hemd, weiße Leinenhose, Jacke aus blauem Tuch mit blauen Knöpfen, Kappe aus dem gleichen Stoff mit rot und weiß kariertem Stirnband und schwarzes Halstuch.
Die Mitgliederzahl schwankte in den ersten Jahren zwischen 11 und 22 Mitgliedern, die sich aus angesehenen und reichen Hamburger Familien rekrutierten. Es wurde großen Wert auf Disziplin und Traditionspflege gelegt wie auch auf geselliges Zusammensein und gemeinsame Essen in noblen Restaurants.
Den English Rowing Club und den Hamburger Ruderclub verband ein freundschaftliches Verhältnis, das sich in gemeinschaftlichen Veranstaltungen und gelegentlichen Wettfahrten niederschlug.
Drei Wochen nach der ersten Ruderregatta wurde am 12. Oktober von einer Gruppe junger Engländer und Deutscher mit dem Allgemeinen Alster-Club der älteste deutsche Regattaverein gegründet, der nicht nur als Regatta-Ausrichter, sondern auch als Ruderverband fungierte.
Der Allgemeine Alster-Club sollte kein eigenes Clubleben entwickeln; Ziel war, den vielen Bootsgemeinschaften, die es 1844 in Hamburg gab, zu helfen und sie zu unterstützen, Streitigkeiten zu schlichten, den Rudersport und das Training zu fördern, Wettfahrten zu organisieren.
Bereits in den Anfängen des Ruderns in Hamburg wurde viel Wert auf die Nachwuchsförderung gelegt und das Schülerrudern florierte.
Am 13. April 1853 gründeten Schüler den Germania Ruderclub; bedingt durch Mitgliederschwund trat der Verein 1934 dem Hamburger Ruder Club bei, es entstand der Hamburger und Germania Ruder Club.
Während „Damen“ bereits frühzeitig auf Ausfahrten mitgenommen wurden, war das Rudern mithin ein Sport der männlichen Oberschicht; insbesondere bei den ältesten Hamburger Vereinen, dem Ruder-Club Favorite Hammonia („Fari“), 1854 gegründet, dem Hamburger und Germania Ruder Club („Germania“) und der Allemannia von 1866 (RCA), wurde und wird noch immer viel Wert auf Tradition gelegt, die u.a. auch darin bestand, Mädchen und Frauen bis weit in die 2000er Jahre den Beitritt zu verwehren.
Dennoch verfügt das Frauenrudern über eine beachtliche Geschichte im Hamburger Rudersport.
1925 gründeten drei Frauen, S. Barrelet, T. Brandt und M. Marcus, den ersten und einzigen Hamburger Ruderinnen Verein, zunächst als Damen-Ruderriege beim Allgemeinen Alster-Club. 1929 wurde eine eigenständige Hamburger Frauen Rudervereinigung gegründet und 1937 erhielt der Verein den Namen Hamburger Ruderinnen-Club von 1925 (HRC).
Auf Druck der Finanzbehörden mit der Androhung des Entzugs der Gemeinnützigkeit dürfen inzwischen bei den Alsterclubs Germania und Allemania Frauen nicht nur Mitglied werden, sondern auch rudern. Bei der Fari und dem HRC dürfen Frauen bzw. Männer die Mitgliedschaft erwerben, aber nicht rudern.
Die Fari bot auch schon vor dem Einschreiten der Finanzbehörden Ruderkurse für Schülerinnen an.
...Die erste Ruderregatta vom 22. September 1844 hat übrigens der Hamburger Ruderclub gegen den English Rowing Club gewonnen.
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Vorstand des Ruder Club Favorite Hammonia (Hg).: 150 Jahre Geschichte des Ruderclubs Favorite Hammonia 1854-2004. Hamburg 2004.
A.IX.9 / 65
1844–1969 Allgemeiner Alster-Club Hamburg / Mitarb. Curt Grass. Hamburg 1969.
A.XI.10 / 2
Zur Geschichte des Hamburg Ruderclubs von 1836–1886. Hamburg 1886.
A.XI.10 / 61
Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Norddeutschen des Norddeutschen Regatta Vereins 1868–1918.
A.XI.10 / 143
Pini, Udo: 125 Jahre Norddeutscher Regattaverein 1868–1993. Hamburg 1993.
A.XI.10 / 143a
Gossler, O. u. Donandt, W.: Hundert Jahre Germania Ruder Club 1853–1953. Hamburg 1953.
A.XI.10 / 145
90 Jahre Hamburger Rudersport. Erinnerungsblätter hg. anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe 1926.
A.XI.10 / 146
Der Hamburger und Germania Ruderclub (Hg.): Der Hamburger und Germania Ruder Club 1836–1986. 150 Jahre Rudern in Deutschland. Hamburg 1986.
A.XI.10 / 147
100 Jahre Der Hamburger und Germania Ruder-Club. Hamburg o.J.
A.XI.10 / 147a
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