Griff in die Geschichte (48)
Emilie Bieber – eine frühe Hamburger Berufsfotografin
von Lilja Schopka-Brasch
Am 5. Februar 1853 erschien in den Hamburger Nachrichten eine Anzeige anlässlich der Eröffnung eines Daguerreotyp-Ateliers und Photographischen Instituts von E. Bieber und A. Koettgen. Hinter den abgekürzten Vornamen verbargen sich Emilie und Adelgunde. Adelgunde war die Frau des Malers Gustav Adolf Koettgen. Er hatte mit seiner Familie in Hamburg Zuflucht gefunden, nachdem er wegen kommunistischer Agitation aus Bremen ausgewiesen worden war. Bereits im September 1852 hatten die beiden Frauen im Dachgeschoss in der Großen Bäckerstraße 26 ihre Arbeit aufgenommen, Adelgunde Koettgen übernahm die technischen Arbeiten, Emilie Bieber den Kundenverkehr sowie die Buchhaltung.
Die Konkurrenz war groß in der Stadt und die Technik der Fotografie entwickelte sich rasant. Als nach nur zwei Jahren Gustav Koettgen auch Hamburg aus politischen Gründen verlassen musste und mit ihm seine Frau, hatte Emilie Bieber hart zu kämpfen, um ihr Geschäft zu halten. Doch mit großer Energie und großem Geschick gelang ihr nicht nur, dieses zu halten, sondern es auch auszubauen und sich einen guten Namen zu machen. 1868 eröffnete ein weiteres Atelier. In dem von ihr erworbenen Haus am Neuen Jungfernstieg 20 ließ sie an der Gartenseite ein Glashaus anbauen.
Ihre Mitarbeiterschaft wuchs, immer wieder erschienen Anzeigen, in denen sie beispielsweise Retuscheure suchte. Beim 25-jährigen Firmenjubiläum 1877 hatte sie 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Einige später namhafte Fotografen sammelten bei ihr erste Berufserfahrung wie der Wiener Max Jaffé, oder vertieften ihr Können, wie der aus Ungarn stammende und in Wien ausgebildete Anton Mocsigay. Er kam Ende der 1860er Jahre ins Biebersche Atelier und übernahm schließlich eine leitende Position als erster Operateur. Auch an ihre Nachfolge dachte sie und stellte 1862 ihren damals 21-jährigen Neffen Leonhard Berlin ein.
Emilie Bieber war Mitglied verschiedener Fachgesellschaften. So trat sie 1865 dem Photographischen Verein zu Berlin bei, später dessen Bezirksverein Hamburg, außerdem gehörte sie den Photographischen Gesellschaften von Wien und Paris an.
Sie wurde bekannt für ihre handkolorierten Portraits, mit denen sie auf deutschen und internationalen Ausstellungen Preise gewann – so 1868 auf der dritten deutschen Fotoausstellung in Hamburg eine Silbermedaille oder 1873 auf der Wiener Weltausstellung eine Fortschritts-Medaille. Diese und weitere Medaillen von Ausstellungen in Berlin 1865, Altona 1869 und Paris 1870 zierten die Revers ihrer Fotografien. Zu ihrer Kundschaft zählten Hamburger Geschäftsleute, Musiker, Sängerinnen, Schauspielerinnen, dänische Minister und Frauenrechtlerinnen. 1872 ließ sich Kronprinzessin Victoria auf Empfehlung Emilie Wüstenfelds von Emilie Bieber portraitieren, woraufhin deren Ehemann, Kronprinz Friedrich Wilhelm – der spätere „99-Tage Kaiser“ – Emilie Bieber zur königlichen Hof-Photographin ernannte. Drei Jahre später wurde sie auch die Hof-Photographin Kronprinzessin Victorias. 1876 erfolgte ihre Ernennung zur bayrischen Hoflieferantin.
Wer war Emilie Bieber? Sie wurde 1810 als Kind jüdischer Eltern geboren. Gemeinsam mit ihrer Schwester Betty engagierte sie sich für Frauen- und Mädchenbildung. Sie war bekannt mit Frauenrechtlerinnen wie Johanna Goldschmidt und Emilie Wüstenfeld, unterstützte die Fröbelsche Kindergartenbewegung und die Berufstätigkeit von Frauen. Sie und ihre Schwester wurden Mitglied im 1848 gegründeten Sozialen Verein – einer Vereinigung christlicher und jüdischer Frauen –, der u. a. die Hochschule für das weibliche Geschlecht gründete.
Emilie Bieber starb 1884 im Alter von 77 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf beerdigt.
Ihr Neffe Leonhard, der 1841 geborene Sohn ihrer Schwester Betty, verheiratete Berlin, übernahm ihr Atelier und eröffnete einige Jahre später eine Zweigstelle in Berlin.
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Inge Grolle: Die freisinnigen Frauen. Charlotte Paulsen, Johanna Goldschmidt, Emilie Wüstenfeld. Hamburgische Lebensbilder 16. Hamburg 2000.
A.I.2 / 187.16
Fritz Kempe: Vor der Camera. Zur Geschichte der Photographie in Hamburg. Hamburg 1976.
A.XI.4.a/86
Photographie zwischen Daguerreotypie und Kunstphotographie, bearbeitet von Fritz Kempe. Bilderhefte des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg 14. Kassel 1977.
A. XI.3.d/131
Wilhelm Weimar: Die Daguerreotypie in Hamburg 1839-1860. Ein Beitrag zur Geschichte der Photographie. 1. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten XXXII. 1914. Hamburg 1915.
A.XI.3.d/135
Marie Kortmann: Emilie Wüstenfeld. Eine Hamburger Bürgerin. Hamburg 1927.
A.XIV.2/1960
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