Griff in die Geschichte (43)
50 Jahre „Rettet die Deichstraße“ e.V.
von Sabine Atmadja
Um 1200 wurde die Fläche südlich der ehemaligen Neuen Burg für die Bebauung erschlossen und ein Deich am Nikolaifleet errichtet. Geplant war die Ansiedlung von Kaufleuten und Schiffern. 1248 begann man die Deichinnenseite mit sogenannten „Binnendeichhäusern“ zu bebauen. Die „Diekstraat“, auf der Deichkrone gelegen, wurde 1304 das erste Mal urkundlich erwähnt. Die Fassade des Hauses Nr. 42 markiert die ursprüngliche Breite der Straße von 8 m.
Im Verlauf des 14. Jahrhunderts entstanden immer mehr Brauereien in Hamburg. Fast jedes Haus in der Deichstraße verfügte über das sogenannte „Brauerbe“ (dieses Braurecht ist an das Haus, nicht an den Besitzer gebunden).
Die Grundstücke an der Wasserseite zum Fleet dienten zunächst als Anlandeplatz für Waren, bis sie dann etwa ab dem 17. Jahrhundert mit „Aussendeichhäusern“ bebaut wurden. Fleetgänge zwischen diesen Häusern sicherten den Zugang zum Wasser für Löschzwecke und zur Brauwasserentnahme. Im Gegensatz zu den „Binnendeichhäusern“ mit Vorderhaus, Längshaus mit Hof und Speicher verfügten die „Aussendeichhäuser“ über eine deutlich geringere Grundstückstiefe. Sie bestanden aus nur einem Gebäude, errichtet in Fachwerkbauweise auf einem massiven Sockel.
Am 5. Mai 1842 kam es dann zur Katastrophe: im Bereich des Hauses Nr. 42 brach der Große Brand aus, der bei Haus Nr. 25 auf die andere Straßenseite übergriff und sich dann schnell nordöstlich über den Hopfenmarkt weiter ausbreitete. Die auf den Speicherböden gelagerten oft leicht brennbaren Materialien wie Rum, Schellack, Getreide, Tabak, Tee und Baumwolle boten dem Feuer reichlich Nahrung. 40 der insgesamt 66 Häuser wurden vernichtet, nur der südliche Teil der Deichstraße blieb vom Feuer verschont.
Nach dem Brand begann in ganz Hamburg eine rege Bautätigkeit. Beim Wiederaufbau wurden die Häuser den im Lauf der Zeit veränderten Bedürfnissen angepasst. Auf die bisher übliche zweigeschossige Diele wurde zugunsten von weiteren Wohnräumen verzichtet, auch die Geschäftsräume wurden kleiner. Die vom Brand verschont gebliebenen Häuser der Deichstraße wurden ebenfalls umgebaut. Ein weiterer Wohnhaustyp gewann an Bedeutung: das Etagenhaus. Bisher wohnten eher die „unteren“ Schichten zur Miete; in die Etagenhäuser der Nachbrandzeit zogen aber auch wohlhabendere Familien ein. Ein Beispiel hierfür ist das Eckhaus Nr. 32. Viele der nach dem Feuer neu gebauten Häuser erhielten Putzfassaden, teilweise mit Rundbogenfenstern. Die Häuser 19, 21 und 23 sind solche „Nachbrandhäuser“ auf der Fleetseite. Die Straße wurde von 8 m auf 12 m verbreitert.
Im Juli 1943 wurden große Teile der Hamburger Altstadt zerstört. Wesentliche Bereiche der Deichstraße hatten die Bombardierungen jedoch wie durch ein Wunder unzerstört überstanden.
Nach dem Krieg wurden in Hamburg viele Gebäude abgerissen; auch in der Deichstraße hatte der Abbruch der ersten Häuser begonnen. Die Straße galt als unattraktiver Standort, der durch die bis 1963 ausgebaute Ost-West-Straße (heute: Willy-Brandt-Straße) von der Innenstadt abgeschnitten war. Zusätzlich war geplant, die Deichstraße auf 20 m zu verbreitern und als Spange zwischen der Ost-West-Straße und der Hafenrandstraße zu nutzen; die „im Weg“ stehenden Häuser sollten abgerissen werden. Eine Bebauung mit fünfgeschossigen Gebäuden und einem zusätzlichen Staffelgeschoss war erlaubt. Ein Grundeigentümer wollte deshalb vier Häuser abreißen lassen; für zwei beantragte er die Streichung von der Denkmalliste.
In Verwaltung und Öffentlichkeit nahmen nun kritische Stimmen zu, die für die Erhaltung der noch verbliebenen alten Häuser der Deichstraße eintraten. Besonders die Journalistin Gisela Schiefler und der Architekt Gerhard Hirschfeld setzten sich für den Erhalt ein. Frau Schiefler hielt vor dem Städtebauseminar der Fachhochschule einen Vortrag über den Zustand der Häuser, eine mögliche Nutzung und die Vorteile für Hamburg. Ferdinand Gatermann, Redakteur des „Hamburger Abendblatts“, und Gerhard Hirschfeld forderten die Hamburger auf ihre Vorstellungen und Wünsche zur Neubelebung der Straße einzubringen.
Dann, am 13. April 1972, wurde der Gründungsaufruf des Vereins „Rettet die Deichstraße“ e.V. u.a. von Max Brauer, Kurt Sieveking, Paul Nevermann und Herbert Weichmann unterzeichnet. Der Verein sollte die Deichstraße als historischen Kern der Altstadt bei den Hamburgern wieder bekannter machen und um Unterstützung für eine geänderte Politik von Senat und Bürgerschaft werben. 10.000 Exemplare des Aufrufs wurden in der Stadt verschickt.
Die Baubehörde legte Bereiche fest, in denen mit „besonderer Sorgfalt“ geplant werden sollte; Deichstraße und Nikolaifleet gehörten dazu. Erste Überlegungen zur Umwandlung in eine Fußgängerzone und die Erschließung der Fleetseite durch einen Ponton wurden angestellt. Es wurden Gutachten zur Standfestigkeit der Häuser erstellt; der Ausbau der Hafenrandstraße wurde zurückgestellt. Anfang 1974 lag dann ein neuer Bebauungs- bzw. Sanierungsplan vor; erste Gelder kamen aus Investitions- und Konjunkturprogrammen. Die Häuser 29, 43, 47 und 49 wurden unter Denkmalschutz gestellt.
Zwischenzeitlich veranstaltete der Verein u.a. Straßenlotterien, verkaufte „Deichstraßentaler“ und schrieb zahlreiche Spendenbittbriefe. Schließlich war das Ziel erreicht: der Verein konnte im November 1974 den Kaufvertrag für das Haus Nr. 37 über 500.000 DM unterzeichnen.
Auch weitere Hauseigentümer begannen jetzt mit Restaurierungsarbeiten. Sehr engagiert war der Antiquitätenhändler Eduard Brinkama, der nach und nach sieben Häuser ankaufte; u.a. restaurierte er den „Bardowicker Speicher“ (Nr. 27, erbaut um 1780), den ältesten noch erhaltenen Speicher Hamburgs. Letztendlich war diese Aufgabe zu groß für eine Person und er musste die Häuser verkaufen.
Im September 1977 erfolgte schließlich die Festlegung der Deichstraße als Sanierungsgebiet durch die Hamburgische Bürgerschaft; die Gesamtkosten wurden auf voraussichtlich 16,6 Mio. DM veranschlagt. Der historische Bestand sollte instandgesetzt bzw. nach vorhandenen Plänen rekonstruiert und Neubauten auf die Umgebung abgestimmt werden. Zu den Erschließungsmaßnahmen gehörte neben dem Bau des Pontons auch die Regulierung des Tidenhubs, so dass die Kellerräume bei starkem Hochwasser vor einer Überflutung geschützt waren.
Der Verein restaurierte die originale zweigeschossige Kaufmannsdiele und das ehemalige Wohngeschoss des Hauses Nr. 37 denkmalgerecht. Die Einweihung des „Alt-Hamburger Bürgerhauses“ erfolgte im März 1980 als Nachfolger des gleichnamigen Hauses am Grimm, abgerissen für den Bau der Ost-West-Straße. In der Folge wurden auch die Häuser 32 und 39 durch den Verein restauriert; das Haus Nr. 35 wurde neu gebaut.
Die Häuser 19, 21, 23, 25, 27 und 41 stehen heutzutage ebenfalls unter Denkmalschutz; besonders hervorzuheben ist hierbei Nr. 27 (Bardowicker Speicher).
Vor allem die Fronten der in der Regel mehrfach umgebauten „Aussendeichhäuser“ prägen heute das Bild der Deichstraße. Die Straße erhielt ein Kopfsteinpflaster; die Beleuchtung wurde mit dem Denkmalschutzamt abgestimmt. 1999 schließlich wurden Bäume gepflanzt, finanziert aus Spendenmitteln.
Der Bau der Landeszentralbank geht auf eine planerische Entscheidung im Zusammenhang mit dem Bau der Ost-West-Straße zurück. Es konnten aber wenigstens eine Höhenbeschränkung und der Einbau von Läden im Erdgeschoss erreicht werden.
Ende 2016 beschlossen die Vereinsmitglieder zur Sicherung des Grundbesitzes den Verein in die Stiftung „Rettet die Deichstraße“ zu überführen. Im Besitz der Stiftung befinden sich derzeit die Häuser 32, 35, 37 und 39; sie bemüht sich um den Ankauf weiterer Gebäude. Neben Spenden verfügt die Stiftung über Mieteinnahmen der Wohnungen, Läden und Restaurants.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass der Verein für seine Arbeit ausgezeichnet wurde. Er erhielt die Silberne Halbkugel des Deutschen Komitees für Denkmalschutz und die Ehrenmedaille um Verdienste für die Stadtgeschichte vom Verein für Hamburgische Geschichte. Die planenden Architekten sowie Mitarbeiter der Baubehörde und des Amts für Stadterneuerung erhielten 1985 den Walter-Hesselbach-Preis der Bank für Gemeinwirtschaft (Deutscher Städtebaupreis). Besonders erwähnt wurde der Neubau des Hauses Nr. 35 als gelungenes Beispiel für modernes Bauen in historischer Umgebung.
Heutzutage ist die Deichstraße eine bei Hamburgern und Touristen beliebte Gegend. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass es engagierten Bürgern durchaus möglich ist, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Hermann Hipp: DuMont Kunst-Reiseführer, Freie und Hansestadt Hamburg, DuMont Buchverlag, Köln, 3. Auflage 1996
A.II.2/2
Historische Stadtrundgänge: Kaufmannshäuser, Speicher und Kontore – Von der Deichstraße zur Speicherstadt, herausgegeben vom Museum der Arbeit, Hamburg 1989
A.II.2/9
Hans Förster: Alt Hamburg in Wort und Bild – Ein Gang durch die Altstadt vor der Zerstörung, Nordmann Verlag, Hamburg 1958 (neue veränderte Auflage des 1938 im Georg Stilke Verlag, Hamburg, unter dem Titel „Alt-Hamburg heute in Wort und Bild“ erschienenen Buchs)
A.II.2/40
Stadterneuerung in Hamburg „Deichstraße – eine Dokumentation des Sanierungsgebietes Hamburg-Altstadt S1“, herausgegeben von der Baubehörde Hamburg, Amt für Stadterneuerung, 1985
A.II.4a/024
Ariane Knuth und Dierk Strothmann, in Zusammenarbeit mit dem Verein „Rettet die Deichstraße“: Bürger, Brauer, Zuckerbäcker – Die Hamburger Deichstraße im Spiegel der Zeit, Germa Press Verlag GmbH, Hamburg 2000
A.II.4a/024a
Alt-Hamburger Bürgerhaus: Festschrift zur Einweihung des Hauses Deichstraße 37 am 28. März 1980, Verein „Rettet die Deichstraße“ e.V.
A.II.5/114
Weitere verwendete Quellen:
Internetseite der Stiftung „Rettet die Deichstraße“ (www.deichstrassehamburg.de)
Daten zur Geschichte der Deichstraße, zusammengetragen von Gerhard Hirschfeld, Juni 2006, ergänzt Mai 2021
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