Griff in die Geschichte (21) 

150 Jahre Radfahren und Radsport in Hamburg – der Altonaer Bicycle-Club von 1869/80

von Lars Amenda

 

Vor 150 Jahren wagten sich die ersten „Radfahrer“ in Hamburg auf die Straßen. Die ein halbes Jahrhundert ältere Laufmaschine von Karl Drais war nur sehr vereinzelt nach Hamburg gelangt, da hier kaum Adel, die wichtigste Zielgruppe, lebte. Das änderte sich Ende der 1860er Jahre mit dem nächsten Schritt in der Entwicklung des Fahrrads: dem Veloziped. 

gig21 ABC Vorstand um 1890 SchattenBereits 1868 und insbesondere 1869 ließen sich zunehmend Reiter des „pferdelosen Rosses“ in der Öffentlichkeit blicken. Mit „Quickrun“ aus Hamburg und dem „Eimsbütteler Velocipeden-Reit-Club“ gründeten sich im April 1869 sogar eigene Vereine, die das aus Frankreich kommende vélocipède verbreiten und verbessern wollten. Im „Eimsbütteler“ Club fanden sich rund 20 Herren aus Altona und Hamburg zusammen, die sich allerdings nur schwer auf einen Namen einigen konnten. Als Kompromiss einigten sie sich auf die „neutrale Zone“ Eimsbüttel, das damals noch nicht zu Hamburg gehörte und eine dünnbesiedelte Landgemeinde vor den Toren der Hansestadt war.

Zu den treibenden Kräften im Eimsbütteler Club gehörte Harro Feddersen, der ein Eisenwarengeschäft in der Palmaille in Altona betrieb. Spätestens seit März 1869 verkaufte Feddersen dort Velozipede der Eisengießerei und Maschinenfabrik von Wilhelm Schlüter in Pinneberg. Wilhelm Schlüter, samt seiner Brüder August und Ernst, hofften auf einen großen kommerziellen Erfolg des Velozipeds und traten ebenfalls in den Eimsbütteler Velocipeden-Reit-Club ein. Dessen Satzung sah vor, dass neue Mitglieder innerhalb von acht Wochen ein eigenes Veloziped zu erwerben hatten, andernfalls wurden sie automatisch zu passiven („socialen“) Mitgliedern.

Das neuartige Veloziped wurde in Illustrierten vorgestellt und auf Theaterbühnen vorgeführt, die Zahl der „Reiter“ blieb aber überschaubar. Das lag vor allen an den hohen Preisen, die nur Vermögende bezahlen konnten. Die neuen Verkehrsteilnehmer stießen in der Öffentlichkeit zudem auf eine scharfe Ablehnung. Die Polizei in Altona und Hamburg reagierte auf den kleinen Velozipeden-Boom und erließ im Sommer 1869 Fahrverbote für die Bürgersteige (Trottoirs) und einige Straßen wie die heutige Elbchaussee und erließ empfindlichen Strafen.

Ein letzter Höhepunkt ereignete sich am 10. September 1869 in Altona, als der Eimsbütteler Velocipeden-Reit-Club und der von C. E. Samuelson geleitete St. Georger Velocipeden-Club ein „Velocipeden-Wettreiten“ im Rahmen einer großen Industrie- und Landesausstellung ausrichteten. Zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten das Rennen auf dem Ausstellungsgelände an der heutigen Max-Brauer-Allee und waren begeistert angesichts des Novums, das an ein Pferderennen erinnerte und doch ohne Pferde auskam. Mit dem Herbst und Winter geriet das Veloziped schnell in Vergessenheit und nur wenige Protagonisten wie Harro Feddersen hielten in den kommenden Jahren daran eisern fest.

Das in den 1870er Jahren in Großbritannien entwickelte und produzierte Hochrad, das „Bicycle“, wie es anfangs auch auf Deutsch genannt wurde, brachte seit 1880 neuen Schwung in die Welt des Radfahrens. Der Eimsbütteler Club um Harro Feddersen nahm wieder Aktivitäten auf und benannte sich 1881 in Altonaer Bicycle-Club von 1869/80 (ABC) um – die Rückdatierung auf 1880 erfolgte aus grafischen und wohl auch symbolischen Gründen, da die „80“ den Beginn eines neuen Jahrzehnts markierte. Der ABC praktizierte das Kunstradfahren, sowohl alleine als auch in der Gruppe („Reigenfahren“), und das Langstreckenfahren von Distanzen bis zu 150 Kilometern am Tag. Der Club veranstaltete zahlreiche karitative Feste und verankerte sich damit im städtischen Bürgertum Altonas. 1882 gründete sich der Hamburger Bicycle-Club und warb die Hamburger Mitglieder aus dem ABC ab. Der ABC erholte sich aber davon schnell und präsentierte sich 1889 stolz auf dem erstmals in Hamburg stattfindenden Bundestag des 1884 gegründeten Deutschen Radfahres-Bundes (DRB).

gig21 ABC um 1885 SchattenAnfang der 1890er Jahre bereitete der Luftreifen und das „Niederrad“ (safety bicycle) den großen Aufschwung des Radfahrens um die Jahrhundertwende vor. Der ABC genoss und inszenierte zuvor seinen Pionierstatus wie im Zuge des 25-jährigen Jubiläums im April 1894. Unter der Führung des gebürtigen Nordfriesen Gregers Nissen (1867-1942) erlebte der Club eine Blütezeit mit 130 Mitgliedern, die häufig Kaufleute waren und sich der städtische Eliten zurechneten. Nissen propagierte das Wanderfahren und förderte maßgeblich den Radtourimus. 1895 trat der ABC aus dem DRB aus, da dieser sich in der Frage des Amateur- und Profisports nicht klar positionierte und die Altonaer strikt für den Amateurstatus („Herrenfahrertum“) eintraten.

Seit der Jahrhundertwende, inmitten des großen Fahrradbooms dank kontinierlich sinkender Fahrradpreise, verlor der ABC an Bedeutung und ebenso an Mitgliedern. In der 1920er Jahren verjüngte sich der Club und nahm den Radrennsport wieder auf. 1925 verabschiedete der ABC eine antisemitische Satzung und passte sich während der NS-Herrschaft an die neuen Zeiten an. Seit den 1950er Jahren konzentrierte sich der Club auf das akrobatische Radballspiel und gehörte mit „Hamburgs Radballstars“ Eberhard Stüber und Gerd Oberwemmer zur nationalen und inernationalen Spitze. Seit den 1980er Jahren konnte der ABC keine jugendlichen Mitglieder mehr gewinnnen und wurde 1996 schließlich aus dem Vereinsregister ausgetragen. 2013 gründeten einige historische interessierte Fahrrad-Enthusiasten den Club neu. Die gegenwärtig 75 Mitglieder betreiben den Verein als Fahrrad- und Geschichtsverein und organisieren regelmäßig Veranstaltungen, restaurieren historische Fahrräder und publizieren Forschungsergebnisse über die norddeutsche Fahrrad- und Radsportgeschichte.

 

 

Literatur zum Thema:

 

Lars Amenda, Altonaer Bicycle-Club von 1869/80. Ein Verein schreibt Fahrradgeschichte, hrsg. vom Altonaer Bicycle-Club von 1869/80, Hamburg 2019 (ABC-Forschungen zur Fahrrad- und Radsportgeschichte, Bd. 1).

Statuten des Eimsbütteler Velocipèden-Reit-Clubs. Gegründet den 21. April 1869, Hamburg-Altona 2019 (Erstaufl. 1869) (ABC-Quellen zur Fahrrad- und Radsportgeschichte, Heft 1).

Lars Amenda/Oliver Leibbrand, Gregers Nissen. Fahrradpionier und Reiseschriftsteller, Bräist/Bredstedt, Nordfriesland 2017 (Nordfriesische Lebensläufe, Bd. 12).

 

Links:

 

www.altonaer-bicycle-club.de

www.lars-amenda.de

 

 

 

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