Griff in die Geschichte (18) 

Eine vollendete Revolution? – 100 Jahre demokratisch gewählte Hamburgische Bürgerschaft

von Dominik Kloss

 

Ein „Phönix, der sich aus der Asche erhebt“ – das Bild, welches Helene Lange am Abend des 24. März 1919 zum Abschluss gig 18 1ihrer Eröffnungsrede als Alterspräsidentin der in der Woche zuvor gewählten Bürgerschaft bemühte, erntete laut Protokoll „Bravo!“-Rufe im Plenum.

Den 185 Abgeordneten, unter ihnen erstmalig 17 Frauen, dürfte das schon nach dem verheerenden Stadtbrand von 1842 anhand des mythischen Vogels gern genutzte Gleichnis des rasanten und erfolgreichen Wiederaufbaus willkommen gewesen sein (im und am Rathaus war es damals und ist es jedenfalls bis heute präsent). Nach vier Monaten revolutionärer Wirren im Gefolge der Weltkriegsniederlage vom November des Vorjahres galt es jetzt mit Zuversicht nach vorne zu blicken und mit Tatkraft die drängenden Aufgaben in einer von Mangelernährung und zahlreichen weiteren Alltagssorgen gezeichneten Millionenmetropole anzugehen.

Im runden Jubiläumsjahr des auf die Novemberrevolution folgenden Frühjahrs blicken Publizistik und Ausstellungswesen auf epochemachende Ereignisse wie insbesondere das mit den Wahlen zur Nationalversammlung einhergehende Frauenwahlrecht zurück. Als bemerkenswert gilt dabei die Durchsetzung dieser und anderer Reformvorhaben in einer von unversöhnlichen Interessenlagen geprägten und politisch kaum kontrollierbar scheinenden Wetterlage, die sich zeitgleich etwa im Spartakistenaufstand in Berlin oder in den „Sturmtagen“ während der Bremer Räterepublik augenfällig ausdrückten.

Hamburg und sein Umland können – das präsentierte die bis unlängst im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigte und nur auf den ersten Blick provokant betitelte Sonderausstellung „Revolution! Revolution?“ – hierzu ein ergänzendes Narrativ bieten.

gig 18 2 Nach der an der Elbe verhältnismäßig unblutigen Machtübernahme der Arbeiter- und Soldatenräte am 6. November hatten sich anfänglich radikale Protagonisten wie Heinrich Laufenberg schon bald mit den Notwendigkeiten der Verwaltung einer Großstadt arrangieren müssen, deren Handel und Versorgung nach vier Jahren Krieg darniederlag. Und so waren es vor allem Themen wie Lebensmittelversorgung, Arbeitsvermittlung oder Wohnungsbau, die neben vielen grundsätzlichen Reformvorhaben in den 135 Verordnungen nachzuvollziehen sind, welche von den neuen Machthabern an die städtischen Gremien und Behörden weitergereicht wurden. Von Anfang an kooperierte man dabei mit den etablierten Kreisen aus der Wirtschaft und gestand – oft notgedrungen, aber einvernehmlich – der Expertise aus liberalen wie konservativen Milieus auch personell eine anhaltende Regierungsbefähigung zu. Das drückte sich auch in den Ergebnissen der am 16. März – einem kalt-windigen, aber schönen Sonntag – erstmals durch eine demokratische Mehrheit wählbaren und mit über 80 % Wahlbeteiligung auch entsprechend repräsentativ gewählten Bürgerschaft aus.

So verzichtete die SPD trotz der knapp errungenen absoluten Mehrheit am 28. März darauf, ihren populären langjährigen Abgeordneten Otto Stolten als ersten Bürgermeister zu bestellen und beließ Werner von Melle, den Kandidaten der zugleich als Koalitionspartner gehandelten DDP, in diesem prestigeträchtigen Amt. Hinzu kam, dass neun Senatoren (und damit die Hälfte) des neugewählten Senats bereits vor der Revolution dort vertreten waren.gig 18 3

Auch für einige Delegierte der 1913 noch vom hohen Steuerzensus dominierten alten Bürgerschaft dürfte deren letzte Sitzung am 19. März keine allzu große Zäsur bedeutet haben und Sie konnten bereits eine Woche darauf – ins neue Gremium wiedergewählt – das „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt“ mit verabschieden.

Möglich wurde dieser wichtige Entschluss auf dem Weg zur dann 1921 in Kraft tretenden neuen Verfassung aber nur durch die Selbstauflösung des Arbeiter- und Soldatenrates, der am gleichen Tag, an dem Helene Lange die konstituierende Sitzung der neuen Bürgerschaft eröffnete, das letzte Mal tagte. Der formellen Übergabe der politischen Macht durch den Vorsitzenden Karl Hense am 26. März folgte dann am letzten Tag des Monats der symbolische Schlussakt der Revolution in Hamburg: das Einholen der Roten Fahne am Rathaus.

Die Bandbreite jüngerer und jüngster Literatur zur Aufarbeitung jener folgenreichen Ereignisse in Hamburg am Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik ist lesenswert auch in den Beständen der Vereinsbibliothek vertreten. Besonders vielsagend finden sich hier darüber hinaus – mitunter von politischen Protagonisten dieser Epoche – zeitgenössisch 1919 und in den Jahren unmittelbar danach abgefasste Erfahrungsberichte, Vorträge, Programme usw., die einiges am Kontinuitäten- wie Neuerungsreichen Kolorit dieser Zeit zu vermitteln wissen.

 

Quellen und Literatur zum Thema in der VHG-Bibliothek:

 

Schambach, Sigrid: Hamburg auf dem Weg zu einer modernen Verwaltung. Die Verwaltungsreform des Stadtstaates in den Jahren 1919 – 1933, Hamburg 2002 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs; Bd. 61).

A.I.2 / 008.61

Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19, hg. v. Hans-Jörg Czech, Olaf Matthes und Ortwin Pelc, Hamburg 2018.

A.III.4.f / 070

Lamp'l, Walter: Die Revolution in Groß-Hamburg, Hamburg 1921.

A.III.4.g / 099

Stalmann, Volker: Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/1919, Düsseldorf 2013 (Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/19; Bd. 4).

A.III.4.g / 101

Neumann, Paul: Hamburg unter der Regierung des Arbeiter- und Soldatenrats. Tätigkeitsbericht erstattet im Auftrage der Exekutive des Arbeiterrats Groß-Hamburgs, Hamburg 1919.

A.III.4.g / 123

Büttner, Ursula: Politischer Neubeginn in schwieriger Zeit. Wahl und Arbeit der ersten demokratischen Bürgerschaft Hamburgs 1919-21, hg. v. der Landeszentrale für Politische Bildung, Hamburg 1994.

A.III.4.g / 218

Asendorf, Manfred: Wege zur Demokratie. 75 Jahre demokratisch gewählte Hamburgische Bürgerschaft; Mit Beiträgen von Uwe Bahnsen und Hinnerk Fock, Hamburg 1994.

A.III.4.i / 224

Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt mit den gültigen Bestimmungen der Verfassung. Nach den Beschlüssen der Bürgerschaft vom 26. März 1919 für die Mitglieder der Bürgerschaft zusammengestellt, Hamburg 1919.

A.IV.2.b / 120

Lippmann, Leo: Die Lebensmittelversorgung Hamburgs. Vortrag des Regierungsrats Dr. Lippmann in der Vollversammlung des Arbeiter- und Soldatenrats für Hamburg und Umgegend am 14. März 1919 im Gewerkschaftshaus, Hamburg [1919].

A.VI.1 / 102

 

 

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