Griff in die Geschichte (14)
Lessing und der Traum vom Hamburger Nationaltheater
Von Antje Büttner
Hamburg, der 22. Januar 1768: Gotthold Ephraim Lessings 39. Geburtstag. Er feierte ihn mit Freunden und den örtlichen Geschäftspartnern im alten Ratskeller, später in geselliger Runde in der Wohnung des Kaufmanns Engelbert König und seiner Familie am Neuen Wall.
Seit fast einem Jahr arbeitete er nun als Dramaturg am neu gegründeten Hamburger Nationaltheater, das als erstes ausschließlich von engagierten Bürgern geleitet wurde. Die sogenannte Hamburger Entreprise bestand aus einem Konsortium von zwölf leitenden Mitgliedern, an der Spitze der Hauptfinanzier Abel Seyler. Der ehemalige Schauspieler undDramendichter Johann Friedrich Löwen übernahm die Position des Theaterdirektors. Sitz des Theaters wardas von Theaterprinzipal Konrad Ackermann 1765 neu errichtete Comoedienhaus am Gänsemarkt. Ausgestattet mit zwei Rängen und einem Stehparterre bot es über 800 Besuchern Platz. Inneneinrichtung und Requisiten wurden von Ackermann übernommen, den man auch als Schauspieler mit dem Großteil seiner ursprünglichen Truppe engagierte.
Angestrebt war ein öffentlich subventioniertes Haus nach dem Vorbild des 1748 gegründeten Kopenhagener Nationaltheaters. Es sollte dazu beitragen die Entwicklung des deutschsprachigen Theaters zu fördern und eine Veränderung des Spielplans herbeiführen, d.h. die Emanzipation von der italienischen Oper und dem französischen Drama. Im November 1766 wurde das Vorhaben von Löwen öffentlich gemacht und Kontakt zu Lessing aufgenommen.
„Wir kündigen dem Publico die vielleicht unerwartete Hoffnung an, das deutsche Schauspiel in Hamburg zu einer Würde zu erheben, wohin es unter anderen Umständen niemals gelangen wird [...] so lange die Aufmunterung und der edle Stolz der Nachahmung unter den Schauspielern selbst fehlt; so lange man die Dichter der Nation nicht zu Nationalstücken anzufeuern gewohnt ist, und so lange vorzüglich die theatralische Policey, sowohl auf der Bühne in der Wahl der Stücke, als auch bey den Sitten der Schauspieler selbst, eine ganz fremde Sache bleibt; so lange wird man umsonst das deutsche Schauspiel aus seiner Kindheit hervortreten sehen.“
Nach der Absage auf eine angestrebte Stelle als Bibliothekar in Berlin nahm Lessing das Angebot der Entreprise an für 800 Taler im Jahr die Bemühungen des neuen Theaters kritisch zu begleiten. Eine Anstellung als Hausautor lehnte er ab. Mit einer fast fertigen Fassung der "Minna von Barnhelm“ und hehren, der Aufklärung geschuldeten Plänen zur Verbesserung von Inszenierungspraxis, Ausdrucksmöglichkeiten der Schauspieler und der Auswahl der Stücke traf er in Hamburg ein. Seine Kritiken brachte er unter dem Titel "Hamburgische Dramaturgie" heraus. Zunächst angelegt als zweimal wöchentlich erscheinende Theaterzeitschrift entstand daraus schließlich ein zweibändiges Werk (bestehend aus 104 „Stücken“) das immer noch zu den Hauptwerken der Theatertheorie gehört.Zur Eröffnung des Nationaltheaters am 22. April 1767 erschien die Ankündigung, zwei Wochen später die erste Ausgabe: „Diese Dramaturgie soll ein kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken halten und jeden Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier tun wird.“
Neben den Aufführungsrezensionen finden sich darin Anmerkungen zur Darstellungskunst allgemein, Gedanken zur Poetik des Aristoteles, Analysen verschiedener Dramen, dem Verhältnis von Tragödie und Komödie, Auseinandersetzungen mit dem Werk Gottscheds und dem französischen Theater. Aus seinen Erkenntnissen der griechischen Tragiker und den Stücken Shakespeares entstand eine grundlegende Theorie des deutschen Dramas samt Anleitung zu ihrer Verwirklichung. Hauptanliegen Lessings war es das bürgerliche Theater als eine "Schule der Menschlichkeit, des Gefühls und der moralischen Welt" zu etablieren. Aber aller Anfang blieb schwer: In Hamburg wurde ihm die Anerkennung für seineambitionierten Bemühungen verwehrt. Die Schauspieler verbaten sich nach kurzer Zeit die kritische Beurteilung ihrer Darstellung, das Hamburger Publikum begeisterte sich nur mäßig für das neue bürgerliche Schauspiel. „Die Minna von Barnhelm“,( UA 30. September 1767), außerhalb vonHamburg lange die meistgespielte Komödie ihrer Zeit, musste schon kurz nach der Premiere mitdem Einsatz von Luftakrobaten dem vorherrschenden Geschmack angepasst werden. Auch im Spielplan fanden sich nur wenige der angestrebten neuen Werke, immer noch waren französische Stücke in deutscher Übersetzung vorherrschend.
Aufgrund diverser Streitigkeiten innerhalb des Konsortiums und dem Mangel ausreichender Mittel, die öffentliche Finanzierung blieb aus, schloss das Theater im November 1768 endgültig. Schon zwischen Dezember und April 1768 wurde nicht mehr gespielt. Die letzten Ausführungen der Hamburgischen Dramaturgie erschienen zu Ostern 1769. "Der süße Traum, ein Nationaltheater hier in Hamburg zu gründen, ist schon wieder verschwunden: und so viel ich diesen Ort nun habe kennen lernen, dürfte er auch wohl gerade der sein, wo ein solcher Traum am spätesten in Erfüllung gehen wird."
Lessing zog weiter nach Wolfenbüttel, wo er im April 1770 eine Anstellung als Leiter der herzoglichen Bibliothek annahm. Trotz aller Widrigkeiten verließ er Hamburg mit vielerlei Anregungen für die Erschaffung weiterer Werke, darunter das Paradestück der Aufklärung "Nathan der Weise". Auch die Idee des Nationaltheaters fruchtete: Abel Seyler, Vorstand der Entreprise übernahm 1777 das Mannheimer Theater unter der Bezeichnung "Nationalschaubühne". Weitere fürstliche Theaterhäuser nahmen die Idee des bürgerlichen Theaters auf.
Am Gänsemarkt erinnert das Denkmal von Friedrich Schaper (1881) an Lessings kurzen, äußerst produktiven Aufenthalt in der Hansestadt. Seit November 2016 steht es restauriert wieder am richtigen Platz. Der Blick des Dichters gerichtet auf den ehemaligen Standort des Hamburger Nationaltheaters.
Das Thalia- Theater veranstaltet seit 2009 zu Ehren des großen Theaterdichters und Denkers Ende Januar die Lessingtheatertage. In diesem Jahr wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Lessingpreis, 1929 vom Senat anlässlich des 200. Geburtstages von Gotthold Ephraim Lessing gestiftet, an die Offenbacher Philosophieprofessorin Juliane Rebentisch verliehen. Die Auszeichnung geht alle vier Jahre an Schriftsteller oder Gelehrte, die sich im Sinne Lessings den Maximen der Aufklärung verpflichtet fühlen: "... für die stete Bereitschaft zur grundlegenden Diskussion; für den Appell an die Vernunft, die sich Ihrer Grenzen bewusst ist; gegen das Zwielicht betörender Phrasen; für die verehrende Betrachtung des Schönen und das unablässige Ringen um das Wahre und Klare."
Quellen und Literatur zum Thema in der VHG-Bibliothek:
Lessing in Hamburg, Heinrich Meyer-Benfey, in Vorträge und Aufsätze Verein für Hamburgische Geschichte, Heft 4, Hamburg 1929.
A.I.2/ 185.04
Lessing und Hamburg. 1729-1929. Festgabe zur Zweihundertjahrfeier der Geburt des Dichters, Hamburger Staats-und Universitätsbibliothek, Hamburg 1929.
A.XI.07.c/ 100
Lessing in Hamburg. 1766-1770, Jan Philipp Reemtsma, München 2007.
A.XI.01/ 103
“Von Lessing ist keine Notiz zu nehmen”. Zum 250. Geburtstag des Aufklärers vom Gänsemarkt, von Franklin Kopitzsch, Hamburg Porträt, Heft 13/79 Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1979.
A. XI 7a / 099
Lessing am Gänsemarkt: die Geschichte eines Denkmals, Rolf Appel, Hamburg 2004
A.II.5/ 085
Lessing und die Zeit der Aufklärung, Göttingen 1968.
A.XI 1/ 101
“Ich küsse Sie tausendmal”- Das Leben der Eva Lessing. Biographie, Petra Oelker, Berlin 2008.
A.XI. 07a / 125.6
Zu den Auseinandersetzungen Lessings mit dem Hamburger Hauptpastor Goetze in den 1770er Jahren siehe den Beitrag "Ein berühmter Disput: Der Fragmentenstreit".
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