Griff in die Geschichte (19)
100 Jahre Universität Hamburg 1919-2019
von Lilja Schopka-Brasch
In diesem Jahr feiert die Universität Hamburg ihr hundertjähriges Bestehen. Einen Geburtstag zu feiern, ist nicht so einfach, denn es gibt zwei Gründungserzählungen, die sich auf zwei unterschiedliche Daten beziehen. Traditionell wird und wurde der 10. Mai 1919, der Tag der Eröffnung, als Jubiläumstag gefeiert. An diesem Tag gab es in der Musikhalle einen festlichen Eröffnungsakt. Der zuständige Senator und Erste Bürgermeister der Stadt, Werner von Melle, der – gemeinsam mit den bürgerlichen „Universitätsfreunden“ – lange für eine Universität in Hamburg gekämpft hatte, sprach das Grußwort für die Stadt und galt als eigentlicher „Gründungsvater“ der Universität. Diese Traditionslinie, die an die lange Vorgeschichte der Universität anknüpfte, wurde von der Mehrheit der Universitätsangehörigen gepflegt und tradiert. Mit der Einführung von Talaren, die 1927 konservativen Professoren gelang, reihte sich die Professorenschaft sichtbar ein in die Tradition „ehrwürdiger“ Universitäten, und die Hamburgische Universität erschien in dieser Erzählung als eine der 23 deutschen Universitäten, ohne sich grundlegend von den anderen Hochschulen zu unterscheiden.
Die andere Gründungserzählung beginnt mit der 3. Sitzung der neuen, erstmals demokratisch gewählten Bürgerschaft am 28. März 1919. In dieser Sitzung wurde die Hamburgische Universität per Gesetz, durch den Beschluss eines demokratisch legitimierten Parlaments, gegründet – ein Novum in der deutschen Geschichte. Die SPD, die nun über die absolute Mehrheit verfügte, plante die erste demokratische Universität in Deutschland, eine Reformuniversität, die der neuen Zeit entsprach, mit „freiester Verfassung und freiesten Zulassungsbedingungen“, so der spätere Schulsenator und Sozialdemokrat Emil Krause in der entscheidenden Sitzung. Im Sommersemester 1919 schrieben sich 1.729 Studierende ein, darunter 212 Frauen. Aufgrund ihrer späten Gründung gehörte die Hamburgische Universität zu den wenigen Universitäten, an denen Frauen von Anfang an formal gleichberechtigt zugelassen waren. Anziehend für Studentinnen war ein freierer Geist, den sie hier zu finden hofften, eine Umgebung, in der Frauen „nicht per se als Eindringlinge“ angesehen wurden. Ein demokratischer Geist wurde jedoch nur von einer Minderheit gepflegt, der Großteil der Professorenschaft wie der Studierenden hing traditionellen, elitären Universitätsvorstellungen an. Die Idee einer Reformuniversität wurde von zu wenigen getragen, um verwirklicht werden zu können. Mit der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten 1933 war es mit der Freiheit der Lehre und des Lernens dann vorerst vollständig vorbei. Erst das Hamburger Universitätsgesetz von 1969 gewährleistete 50 Jahre nach der Gründung den Wechsel von der Ordinarien- zur Reformuniversität, in der alle Gruppen innerhalb der Universität Mitspracherechte erhielten. So wurde der Weg frei, um Lehre, Lern- und Arbeitsformen grundlegend zu reformieren. Die Studierendenzahlen stiegen enorm, allerdings wurde seit den 1980er Jahren die staatliche Finanzierung stetig zurückgefahren, was in den 1990er Jahren massive Stellenstreichungen zur Folge hatte. Überfüllte Hörsäle und Seminare gehörten somit zu den immer schwieriger werdenden Studienbedingungen.
50 Jahre nach dem Erlass des Universitätsgesetzes bleibt zu fragen, was von dessen demokratischem Gehalt übriggeblieben ist. Neue Universitätskonzepte fokussieren wieder stärker auf Auswahl und Beschränkung – sowohl im Fächerangebot als auch bei den Studierenden. Es bleibt spannend, wie sich Forderungen nach Exzellenz einerseits und Bildung für alle andererseits in einer Universität verwirklich lassen.
Quellen und Literatur zum Thema in der VHG-Bibliothek:
In unserer Bibliothek finden Sie zur Geschichte der Universität Hamburg über 40 Titel – die durch die ab 2019 erscheinende "Kleine Geschichte der Universität Hamburg" von Rainer Nicolaysen sowie - ausführlicher - die Bände der Publikation „100 Jahre Universität Hamburg“ ergänzt werden. Im Folgenden eine Auswahl:
Fiege, Hartwig: Die Lehrerbildung im Pädagogischen Institut der Universität Hamburg von 1945 bis 1969 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs, 42). Hamburg 1991.
A.I.2 / 008.42
Die Hamburger Universitätsmedizin im Nationalsozialismus: Forschung – Lehre – Krankenversorgung hg. von Hendrik van den Bussche (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 24). Berlin und Hamburg 2013.
A.VIII.1 / 115
Schopka-Brasch, Lilja: „Ich wollte keine Hausfrau sein, ich wollte Ärztin sein!“ Studentinnen in Hamburg und Oslo zwischen den Weltkriegen (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 20). Berlin und Hamburg 2012.
A.XI.02 / 40
Melle, Werner von: Dreißig Jahre Hamburger Wissenschaft 1891-1921. Rückblicke und persönliche Erinnerungen. 2 Bde. Hamburg 1923/24.
A.XI.02 / 110.1 und A.XI.02 / 110.2
Der Forschung? Der Lehre? Der Bildung? Wissen ist Macht! 75 Jahre Hamburger Universität. Studentische Gegenfestschrift zum Universitätsjubiläum 1994, hg. von Stefan Micheler und Jakob Michelsen im Auftrag des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität. Hamburg 1994.
A.XI.03.b. /01
Universität Hamburg 1919-1969 [= Festschrift zum 50. Gründungstag der Universität Hamburg]. o. O. o. J. [Hamburg 1970].
A.XI.03.b / 08
100 Jahre Geschichtswissenschaft in Hamburg, hg. von Rainer Nicolaysen; Axel Schildt (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 18). Berlin und Hamburg 2011.
A.XI.03.b / 11
Nicolaysen, Rainer (Hg.): Das Hauptgebäude der Universität als Gedächtnisort. Mit sieben Portraits in der NS-Zeit vertriebener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hamburg 2011.
A.XI.03.b / 017
Jendrowiak, Silke: Der Forschung – der Lehre – der Bildung. Hamburg und seine Universität. Hamburg 1994.
A.XI.03.b / 018
Nicolaysen, Rainer: „Frei soll die Lehre sein und frei das Lernen.“ Zur Geschichte der Universität Hamburg. Hamburg 2008
A.XI.03.b / 72
Lüthje, Jürgen (Hg.): Universität im Herzen der Stadt. Eine Festschrift für Dr. Hannelore und Prof. Dr. Helmut Greve. Hamburg 2002.
A.XI.03.b / 073
Gelebte Universitätsgeschichte: Erträge jüngster Forschung Eckart Krause zum 70. Geburtstag, hg. von Anton F. Guhl; Malte Habscheidt; Alexandra Jaeger (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Sonderband). Berlin und Hamburg 2013.
A.XI.03.b / 150
Hochschulalltag im "Dritten Reich". Die Hamburger Universität 1933 – 1945, hg. v. Eckart Krause; Ludwig Huber; Holger Fischer. 3 Teile (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 3). Berlin und Hamburg 1991.
A.XI.03.b / 151
Rein, Adolf: Die hansische Universität, hg. von der Landesbildstelle Hansa und der Hansischen Universität Hamburg. (Bilder der Niederdeutschen Heimat, Sonderheft) Hamburg o. J. [1937]
A.XI.03.b / 183
Bottin, Angela, unter Mitarbeit von Rainer Nicolaysen: Enge Zeit. Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, 11). Berlin/Hamburg1992.
A.XI.03.d / 078
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