Griff in die Geschichte (7)

Ein berühmter Disput: der Fragmentenstreit

 

Aus Anlass des 230. Todesjahres von Johan Melchior Goeze (1717-1786), Hauptpastor an der Katharinenkirche in Hamburg, sei an seine Auseinandersetzung mit dem Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in den 1770er Jahren erinnert. 

griff in die geschichte fragmentenstreit 1 2016Als Hofbibliothekar der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel verstand sich Lessing von Anfang an als eher widerwilliger Verwalter von Büchern, er fand sich "täglich von hundert Verdrießlichkeiten bestürmt“. Während er seinen archivarischen Aufgaben Genüge tun musste, galt sein Interesse theologischen und geschichtsphilosophischen Themen und der Publikation von Werken und Artikeln, die er in aufklärerischem Bestreben der Öffentlichkeit bekannt machen wollte. 

1774 begann Lessing, Auszüge von Schriften des Hamburger Orientalisten und Theologen Herman Samuel Reimarus (1694-1768) innerhalb seiner Zeitschrift Beiträge zur Geschichte und Literatur aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel zu veröffentlichen. 1777 folgten weitere Teile der Apologie oder "Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes als Ein Mehreres" aus den Papieren eines Ungenannten. Darin enthalten war ein Aufsatz mit der Überschrift "Von der Verschreiung der Vernunft auf den Kanzeln" und ein weiterer Absatz betitelt "Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben können". Wohlweislich hatte Reimarus keinen Druck seiner Aussagen angestrebt, sprach er doch der Bibel Verfälschungen und Irrtümer zu und bezweifelte nicht nur Wunder sondern auch Offenbarung und Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift.

Den publizierten Fragmenten schloss Lessing ein eigenes Nachwort an mit der Überschrift Gegensätze des Herausgebers. Unter anderem bestritt er, dass Religion und Bibel identisch seien. Mit derartigen Aussagen stand er in Kontrast zum Denkschema der Orthodoxie.

Die Veröffentlichungen brachten zahlreiche Gelehrte auf den Plan, die sich in einer Vielzahl von Traktaten, Zeitungsartikeln und Flugschriften über die schockierenden Aussagen in Fragmenten und Gegensätzen aufregten, insbesondere aber über die Tatsache, dass sie publik gemacht wurden.griff in die geschichte fragmentenstreit 2 2016 

Ein Teil der Kontroverse entwickelte sich zu einem geharnischten Schlagabtausch zwischen dem Hauptpastor Goeze und dem Hofbeamten Lessing als Herausgeber der Aufsätze. Während der Kirchenmann dem Bibliothekar "Geschrey", "Fechterstreiche" und "schwankende, irrige Sätze“ an den Kopf warf, konterte der Dichter mit "Da steht er, mein unbarmherziger Ankläger, und wiehert Blut und Verdammung".  

Theologe und Dichter stritten um Wahrheit, Autorität und Glaube. Aufklärerische Argumentation und Kritik kontrastierte mit orthodoxer Denkweise und Dogmengläubigkeit. 

Kurz darauf jedoch ereilte Lessing ein Veröffentlichungsverbot derartiger religiöser Themen durch den Herzoglichen Rat des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel. Ungerührt veröffentlichte er wenig später Nathan der Weise.

  

Quellen und Literatur zum Thema in der VHG-Bibliothek:

 

Arnold, Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.). Text+Kritik - Zeitschrift für Literatur Nr. 26/27. Lessing contra Goeze. Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 1970.
A.XI.01/104

Zeit-Stiftung (Hrsg). Hamburger Köpfe. Wieckenberg, Ernst-Peter. Johan Melchior Goeze. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2007.
A.XIV.2./1

Verein für Hamburgische Geschichte (Hrsg.). Beiträge zur Geschichte Hamburgs Band 12. Gelehrte in  Hamburg im 18. Und 19. Jahrhundert. Hans Christians Verlag, Hamburg 1976.
A.1.2./8.D

 

 

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